0891 - Knochenklaue
mußte der Moment sein, der auf der Schwelle stand. Eine Mischung zwischen Leben und Tod, eine…
Auf einmal war der Druck verschwunden!
Donata McBain kriegte wieder Luft! Eiskalte zwar, doch es machte ihr nichts aus.
Atmen, ich kann atmen!
Die Kälte war ihr plötzlich egal. Sie kniete, stützte sich mit den Händen auf, hielt den Kopf gesenkt, stierte ebenfalls zu Boden und sah, daß ihr Atem vor den Lippen kondensierte.
Dieser normale Vorgang war für sie etwas Wunderbares. Donata konnte es kaum glauben, deshalb zischte sie immer wieder den Atem aus ihren Lungen, sah ihn kondensieren, jubelte, freute sich und hörte sich selbst weinen.
Sie hatte es geschafft, sie war gerettet, und sie war auch froh, daß sie die Schmerzen an und in ihrem Hals spürte, denn Schmerzen fühlen, bedeutete Leben.
Ja, sie lebte wieder!
Donata McBain mußte würgen und husten zugleich. Sie tat es mit einer. Entschlossenheit, die sie selbst überraschte. Dabei schaute sie zu, wie der Speichel aus ihrem Mund floß. In dicken Tropfen, die durch Fäden untereinander verbunden waren, tropfte er zu Boden und hinterließ dort eine kleine Lache.
Ihre Kehle war durch das Würgen und durch das Husten rauh und kratzig geworden. Das aber würde sich rasch geben.
Die Kraft kehrte allmählich wieder in ihren Körper zurück. Ihr Gehirn arbeitete normal, sie war wieder auf dem Damm und würde bald den Heimweg antreten können.
Nein, nicht bald, sondern wegen der Kälte sofort. Auf den Knien rutschte sie vor bis an das Tor. Das Metall war eiskalt, und Hände konnten daran klebenbleiben, aber Donata trug Handschuhe. Sie umklammerte zwei Stäbe, einen senk- und einen waagrechten, und zog sich daran hoch.
»Okay«, flüsterte Donata und wunderte sich über die eigene Stimme, die ihr so fremd klang. »Okay, ich werde es packen, ich werde und darf nicht aufgeben. Ich muß da durch. Ich kann und will auch nicht nach Erklärungen suchen, nicht jetzt, ich…« Ein Hustenanfall unterbrach sie und ließ sie weiter zusammensinken.
Heftig schüttelte sie den Kopf und spie Speichel. Sie ging die ersten Schritte zur Seite und hätte beinahe über sich selbst gelacht, weil sie sich bewegte wie ein Kind, das laufen lernte.
Aber sie packte es und verließ das Gelände des Friedhofs, um auf dem Platz davor stehenzubleiben.
Dort parkte ein Wagen mit offener Ladefläche. Er gehörte dem Totengräber, der zugleich auch Friedhofsgärtner war. Der Mann hatte Urlaub, und sein im Freien stehender Wagen war von einer dicken Eisschicht bedeckt.
Donata McBain war nicht mit dem Auto gekommen. Sie hatte den Weg zum Friedhof zu Fuß zurückgelegt, da sie Spaziergänge im Winter liebte. Sie kam sich vor wie neugeboren, schaute zum Himmel hoch und entdeckte die blasse Januarsonne. Donatas Lippen zuckten. Die Kälte hatte sie rauh werden lassen. Donata dachte daran, daß die Sonne in einigen Wochen viel mehr Kraft haben und sie wärmen würde.
Im Gegensatz zu vielen anderen Orten war dieser Friedhof nicht in die kleine Stadt integriert worden. Er lag außerhalb, als hätte man ihn nicht haben wollen. An ihm vorbei führte die Hauptstraße in Richtung Süden, zu Zentren wie Manchester oder Leeds. Von diesem Verkehr war Ripon nicht betroffen, denn die meisten Fahrer nahmen den Motorway weiter westlich.
Die Straße fiel zum Ort hin etwas ab. Er lag in einer kleinen Mulde. Verschieden hohe Berge umgaben ihn, die jetzt, wo es geschneit hatte, aussahen wie weiße Zuckerhügel.
Der Kirchturm war zu sehen, auch die Dächer der Häuser, die allesamt eine weiße Schicht aus Eis und hartem Schnee bekommen hatten, und dieses Eis lag auch auf Teilen der Straße, wo es Glatteisfallen bildete, die Donata umgehen mußte.
Die ersten Häuser waren noch weiter entfernt. Rechts und links der Straße wuchs das winterliche Gras der Böschung, steif gefroren, ebenfalls von Eis umklammert. Es war hart wie Holz geworden.
Noch immer hatte sich Donatas Atem nicht normalisiert. Jedes Luftholen verursachte Schmerzen.
Es war tatsächlich eine böse, unheimliche und schmerzerfüllte sowie lebensgefährliche Attacke aus dem Unsichtbaren gewesen, aber sie hatte sie überstanden.
Donata McBain gehörte zu den mutigen Frauen, die sich so leicht nicht ins Bockshorn jagen ließen.
Dieser plötzliche Angriff hatte sie in Panik versetzt, aber das wäre auch anderen passiert. Nur fing sie damit an, über die Gründe nachzudenken, und sie überlegte zugleich, an wen in Ripon sie sich wenden sollte.
An
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