0891 - Knochenklaue
herrlichen Genuß. Ich gönnte mir die erste Zigarette des Jahres, was meiner Mutter nicht gefiel. Sie sagte nichts. Erst als ich die Kippe in die Glut des Kamins geworfen hatte, entspannte sich ihr Gesicht wieder.
Es wurden noch schöne Stunden am Kamin. Wir redeten viel miteinander, wir sprachen auch über früher. Und das leidige Thema, daß meine Mutter mal Großmutter werden sollte, kam natürlich auch zur Sprache. Da mußte ich sie allerdings enttäuschen.
»Du mußt dich doch mal für eine der beiden entscheiden können, John?«
»Wen meinst du?« fragte ich grinsend.
»Jane oder Glenda.«
»Es gibt doch noch mehr.«
Während meine Mutter nach Luft schnappte, konnte sich der alte Herr das Lachen nicht verbeißen.
Beide hatten verstanden, und das Thema war damit vom Tisch.
Es wurden noch lange Stunden, ein wirklich schöner Abend, später jedoch saß ich allein am Kamin, da waren die Eltern schon von der Müdigkeit überschwemmt worden. Ich schaute in die allmählich kleiner werdenden Flammen und gegen das Holz, dessen Reste dunkelrot glühten. Es kam mir vor wie ein Orakel, und ich fragte mich, was mir das neue Jahr wohl bringen würde. Eine Pause würde es nicht geben, aber ich war nicht allein, denn gute Freunde standen mir als Partner zur Seite.
Noch eine letzte Zigarette. Ich saß entspannt im Sessel, die Beine von mir gestreckt, schaute dem Rauch des Glimmstengels nach, hielt noch das leere Weinglas in den Händen und genehmigte mir einen ebenfalls letzten Schluck von dem guten Roten. Da war die Flasche dann auch leer.
Mit London hatte ich zwischendurch telefoniert und erfahren, daß all meine Freunde gut ins neue Jahr hineingekommen waren. Niemand war ausgerutscht. Na ja, erzählen konnte man viel, auch ich hatte nicht zugegeben, wie und in welchem Zustand ich ins Bett gestiegen war.
Das Bett lockte mich auch jetzt. Zwar war noch nicht Mitternacht, aber man konnte auch solide sein.
Ich leerte das Glas, schloß die Klappe zum Kamin und machte mich auf den Weg ins Bad.
Fünf Minuten später lag ich wieder im Bett. Traumlos schlief ich bis zum nächsten Morgen.
***
Und es kam die Zeit des Abschieds.
Ich hatte meiner Mutter nicht widerstehen können und den mit Lebensmitteln gefüllten Korb in den Kofferraum gestellt. Alle Überredungskünste hatten nichts gebracht, ich wollte abreisen, denn es war schon ein Wetterumschwung für die nächsten Tage vorausgesagt worden. Man rechnete mit höheren Temperaturen, und das bedeutete bei dieser Kälte Schnee in Massen.
Den wollte ich nicht hier in Schottland erleben, sondern in London, wenn es denn sein mußte.
Beide Eltern kamen mit an den vom Eis befreiten Rover. Es war noch immer klar und kalt, die Temperaturen lagen bei minus fünf Grad am frühen Mittag, und das sollte schon was heißen. Eigentlich hatte ich ja früher fahren wollen, aber wie das so ist, man kommt so leicht eben nicht weg.
Mein Vater umarmte mich, dann war Mutter an der Reihe. Sie hielt mich länger fest, küßte mich, und ich spürte ihre warmen Lippen an meinem linken Ohr. »Gib auf dich acht, mein Junge. Gib bitte auf dich acht. Ich habe ein so seltsames Gefühl.«
»Was meinst du damit?«
»Kann ich nicht genau sagen, aber irgendwie fürchte ich mich vor diesem Jahr.«
»Das ist doch Unsinn!«
»Mal sehen.«
Zwei Minuten später saß ich im Rover, startete und freute mich im nachhinein darüber, daß er so problemlos ansprang. Allerdings würde ich nicht schnell fahren können, denn die Straßen waren teilweise vereist oder vom Schnee glatt. Da hatte ich mich beim Verkehrswarndienst erkundigt.
Ich rollte an den Bäumen des Vorplatzes vorbei und nahm den nach unten führenden Weg ins Dorf.
Meine mir nachwinkenden Eltern waren aus dem Rückspiegel verschwunden.
Der Ort Lauder hatte sich verändert. Es war einiges gebaut worden. Für ein Dorf eigentlich schon zu groß, aber man sprach noch immer von dem Dorf in den Bergen.
Ich wollte nicht rasen, sondern mir Zeit nehmen und erst bei Leeds auf den Motorway in Richtung London auffahren.
Ich hatte mich wegen einer Ankunft nicht festgelegt. Wahrscheinlich würde ich noch übernachten, wenn ich zu müde würde, aber der genossene Kaffee hielt mich zunächst einmal wach.
Winter in Schottland. Knackig kalt, viel Schnee und Eis. Zum Glück waren die Straßen erst vor kurzem geräumt worden. Die Winterreifen würden mit dem Rest problemlos fertig. Ich hing meinen Gedanken nach, die sich mit der Vergangenheit und auch der
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