0898 - Todesruf der Alten Göttin
Jane. Es war doch alles genau vorgeschrieben. Ich habe mich auf die lange Reise gemacht. Ich mußte meiner Bestimmung zugeführt werden…«
»Du bist ein Psychonaut«, sagte Suko und entschuldigte sich für die Unterbrechung. »Wie paßt das zusammen?«
»Ich war es schon immer. Auch damals, als ich noch Amu Ran hieß. Damals hatte ich schon das dritte Auge. Ich bin wohl einer der ersten Psychonauten gewesen, einer, der mit dem Wissen zurechtkam, das hinterlassen worden ist. Ich war ausersehen, die geheimen Kammern in der Pyramide auch weiterhin mit Wissen zu füllen, aber dazu ist es nicht gekommen, obwohl mir Kaldar und Sinara noch immer nicht glauben und mir mein angebliches Wissen entreißen wollen. Diesmal werden sie mich nicht töten. Sie werden versuchen, mich zu foltern, sie werden…« Er hob die Schultern.
»Ich weiß es nicht mehr genau.«
»Hast du denn damals keine richtigen Eltern gehabt?« wollte Sarah Goldwyn wissen. »Du mußt doch gezeugt worden sein.«
»Das schon.«
»Wie schön. Wer waren sie? Kannst du dich nicht an deine Eltern erinnern?« Sie schaute Gordy an und hatte ihm auch eine Hand auf die Schulter gelegt um durch den Körperkontakt ihre gemeinsame Verbundenheit aus zudrücken.
»An meine Mutter…«
»Das ist schon etwas.«
»Ja«, murmelte er. »Sie ist eine tolle Person gewesen. Sie war kein Mensch, sie war etwas ganz Besonderes, und ich glaube, daß sie mich immer beschützen wird. Sie wird mich rufen, sie wird mich locken, es gibt sie noch, ich weiß es, obwohl sie sich nicht gezeigt hat. Aber ich kann sie spüren.«
»Sie ist also nahe?«
»Ja.«
»Sag uns den Namen!«
Der Junge blickte mich von der Seite her an. »Es ist nicht wichtig, John, denn sie hat viele Namen. Meine Mutter ist die Urkraft gewesen, die im Schoße der Erde wuchs. Denn ganz am Beginn war Gott eine Göttin. Sie ist eine Kraft, sie ist die Herrscherin des Himmels und der Erde damals gewesen. Sie hat keine Gestalt. Wenn doch, dann haben ihr die Menschen eine gegeben. Sie hieß Inanna mit ihrem ältesten Namen, aber sie wurde auch Astarte oder Ischtar genannt, bei den alten Völkern wie den Assyrern, den Babyloniern, und bei den Griechen erlebte sie ihre Auferstehung als Artemis. Aber da hatten die männlichen Götter schön die Herrschaft übernommen.«
Wir hatten etwas gehört und mußten es akzeptieren. Ich fragte trotzdem noch einmal nach. »Du kennst sie also nicht, deine Mutter?«
»Nein, ich nenne sie Göttin. Sie ist eine Kraft, die geboren hat und mich in die Welt schickte.«
»Ohne Vater?« fragte Jane..
»Sie hat nie davon gesprochen.«
»Dann hast du dich mit ihr unterhalten?«
»Auch, aber anders.« Er zeigte auf seine Stirn. »Hier oben, bei meinem dritten Auge, hat der Kontakt mit ihr stattgefunden. Da sagte sie mir das, was ich wissen mußte, und ich habe es immer verstanden. Das Auge war und ist unsere Verbindung.«
»Sie hätte dir helfen können«, sagte ich.
Gordy hob die Schultern. »Warum? Ich bin ein Mensch geworden. Ich muß mich auf meine eigenen Kräfte verlassen. Steht dir denn dein Gott immer bei?«
»Ich hoffe es.«
»Aber nicht die Göttin. Sie hat mir die Kraft gegeben, mich selbst durch mein Leben zu schlagen, durch mein zweites Leben, aber versehen mit dem dritten Auge, das wirklich etwas Besonderes ist, und ich bin meiner Mutter sehr dankbar.«
Wir schwiegen, dachten nach, bis Sarah Goldwyn meinte: »Dann könnten die Psychonauten von dieser namenlosen Göttin abstammen?«
»Möglich.«
»Sie ist weiblich«, faßte Jane zusammen. »Sie ist ein Geist, sie ist Kraft, sie ist die Mutter, sie ist die Erde, sie ist ein Stück Mythologie alter Völker, sie ist Traum und gleichzeitig auch Wahrheit. Wir können sie nicht fassen, wir müssen dem Jungen nur glauben. Oder sehe ich das falsch, Gordy?«
»Nein.«
»Du wirst auch nicht sagen können, ob sie herkommt, wenn du sie rufst - oder?«
»Wie soll ich sie rufen?«
»Schon gut.«
Wir hatten uns im Kreis gedreht. So kamen wir nicht weiter. Ich merkte zudem, daß ich müde wurde. Das Gefühl drängte sich wie Blei in meinen Körper. Ich gähnte.
»Willst du dich hinlegen?« fragte Sarah.
»Es wäre nicht schlecht.«
Wie auf Kommando wurde Suko wach. »Okay, Freunde, dann fahre ich nach Hause.«
Wir schauten ihn erstaunt an. »Hast du denn alles mitbekommen?« erkundigte ich mich.
»Soll ich es wiederholen?«
»Nein, das brauchst du nicht.«
Er stand auf, aber die Stimme des Jungen hielt ihn noch
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