0898 - Todesruf der Alten Göttin
normal durch ihre Wohnung. Trotzdem kam es ihr vor, als würde sie neben sich hergehen, wären da zwei Pole vorhanden.
Einmal ihr normaler Körper und zum anderen ein Leib, der durchscheinend war und sich von ihrem Körper einfach getrennt hatte. Etwas zweites, das nicht zum ersten gehörte, aber trotzdem vorhanden war und in einer Verbindung stand.
Es war kompliziert, Shao wußte es. Sie zog sich schnell an, die Hose, den Pullover, dann kochte sie sich einen Beruhigungstee. Sie wollte sich in den Wohnraum setzen, den Tee trinken und auf ihren Freund Suko warten.
Etwas hatte sich verändert, wobei im Prinzip alles gleichgeblieben war. Trotzdem gab es die Veränderung, das merkte Shao genau. Sie war sehr sensibel geworden. Zwar saß sie ruhig und fast unbeweglich im Sessel, die Tasse mit dem Tee vor sich auf dem Tisch stehend, aber die Augen befanden sich in ständiger Bewegung. Sie durchsuchten das Zimmer auf der Suche nach dieser Veränderung oder etwas Fremdem.
Shao sah nichts.
Da war es wie immer. Nichts hatte sich verändert, aber zugleich bildete sie sich auch nichts ein. Das Gefühl konnte sie auch nicht mehr unterdrücken, es war sogar dabei, sich allmählich zu verstärken.
Eine andere Kraft umgab sie, lauerte, beobachtete sie, um auf einen günstigen Zeitpunkt zu warten.
Shao gelang es, sich zu entspannen. Ihre Arme hingen rechts und links des Sessels hinab, und sie spürte die zweite Haut auf ihrer ersten wie einen kühlen Schauer.
Eine Warnung?
Shao trank einen Schluck Tee. Er war sehr würzig und rann wie ein Strom durch die Kehle. Als sie die Tasse absetzte, schaute sie sich wieder im Zimmer um, weil sie nach dem Fremden suchen wollte.
Lag es am Licht, daß sie so dachte? Es leuchteten nur zwei Lampen, und deren Schirme waren noch gedämpft, so daß sich das Licht wie ein Schleier verteilen konnte.
Nein, Unsinn.
Aber sie suchte weiter, und sie wurde auch immer nervöser. Mit einem Ruck stand sie auf. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Mit beiden Händen strich sie durch das offene Haar, das plötzlich, als es in Kontakt mit der Haut geriet, anfing zu knistern, als wäre es dabei, jede Menge Funken über den Kopf zu schleudern.
Geladen - ich bin aufgeladen, dachte Shao. Ich habe etwas gespürt, das Fremde ist hier, und ich wehre mich dagegen. Bin tatsächlich ich es, die sich dagegenstellt?
Sie erinnerte sich einige Minuten zurück, als sie sich vorgekommen war wie jemand, der neben sich selbst hergeht. Wie ein Zweitkörper, wie schon einmal, wie damals, wie in einer anderen Welt, wie im Reich der Sonnengöttin Amaterasu.
Plötzlich wirbelten in ihrem Kopf die Gedanken durcheinander. Sie erinnerte sich zurück, als sie zu einer anderen gemacht worden war. Zu der Frau mit der Maske und der Armbrust, einer Kämpferin, die diese Waffe perfekt beherrschte.
Im Reich der Sonnengöttin hatte sie lernen sollen und müssen. Die Sonne hatte sie stets vor dem Dunklen Reich des Unheils geschützt, und sie hatte erst befreit werden sollen, wenn der schützende Fächer der Sonnengöttin gefunden worden war. Das hatte nicht geklappt, er befand sich nach wie vor im Besitz des Dunklen Reichs, doch Amaterasu hatte Größe bewiesen und sie auch so entlassen.
Es waren damals schreckliche Tage für sie gewesen, sie war beinahe gestorben, doch daran wollte sie jetzt nicht mehr denken, obwohl…
Das Tuten des Telefons riß sie aus ihrer Gedankenwelt. Für einen Moment stand sie unbeweglich, wie jemand, der aus einem Tiefschlaf gerissen wurde und nicht wußte, wo er sich befand.
Sie drehte sich und spürte den leichten Schwindel.
Dann sah sie das Telefon.
Shao ging darauf zu. Es war alles normal, es war wie immer und trotzdem anders. Sie trat auf den Fußboden, aber sie kam sich vor, als würde dieser bei jedem weiteren Schritt unter ihr wegsacken und dabei immer tiefer werden.
Dann griff sie nach dem Hörer und hatte sogar Glück, ihn umfassen zu können. Sie hob ihn an, drückte ihn gegen ihr Ohr. Shao wollte sich auch melden, nur kam sie nicht dazu, denn der Anrufer, Suko, war schneller.
»Gut, daß du da bist.«
»Natürlich.«
»Hör genau zu, bitte.«
»Gut, wo bist du?«
»Noch im Auto, aber das spielt keine Rolle. Ich bin von John angerufen worden, es geht um Gordy, der uns einiges erklärt hat. Er hat sich gewissermaßen offenbart. Er sprach über seine Mutter, die eine Göttin gewesen ist, aber nicht in körperlicher Form. Seine Mutter war die alte Urkraft der Erde, die Mutter allen Seins,
Weitere Kostenlose Bücher