0899 - Schwanengesang
mir geschrieben, dass irgendetwas mit Patty passiert sei.«
Sein Gegenüber zögerte. »Sind Sie deswegen hier, Mister Zamorra? Nun, das stimmt nicht. Aber das habe ich Mister Geery auch schon gesagt. Er wollte es aber nicht glauben. Patty hat sich einfach von hier verabschiedet und ist weiter gezogen. Wissen Sie, sie macht meereskundliche Studien in der Moray Firth.« Alice seufzte und kreuzte die Hände vor ihren kleinen, festen Brüsten.
»Ach so. Aber wieso hat sie sich dann nicht mehr bei ihm…«
Alice sprang wie von der Tarantel gestochen vom Stuhl hoch. Ehe Zamorra es sich versah, hing sie an seinem Hals. Mehr unbewusst spürte er ihren warmen Körper und roch den erregenden Duft, der aus ihren Haaren stieg.
Zamorra versteifte. Mist! Er hatte sich einlullen lassen! Nicht einen Moment glaubte er, es mit einer Nymphomanin zu tun zu haben. Was hatte Alice vor?
Er versuchte sie von sich zu stoßen. Es gelang ihm nicht. So packte er ihre Haare und zog ruckartig den Kopf nach hinten. Zamorra starrte in die grell aufblitzenden Augen des Mädchens. Im selben Moment glaubte er, in einem Abgrund zu versinken.
***
Gryf ap Llandrysgryf grinste still vor sich hin. Der jung wirkende Mann stand auf einem der zahlreichen grünen Hügel Angleseys und blickte auf die Megalithenanlage von Bryn Celli Ddu. Ein paar Touristen standen um den ausgehöhlten Hügel herum. Ein hübsches, junges Mädchen, das er mit Wohlgefallen betrachtete und mit dem er heute Nacht - hoffentlich - noch ein kleines Abenteuer haben würde, betrat durch das mächtige Steintor das Innere der Anlage. Sie würde gleich den über drei Meter hohen Menhir bestaunen, der den Mittelpunkt der Höhle bildete, aber sie würde nicht viel mit ihm anfangen können. Eigentlich gar nichts. Für sie war er ein toter Stein. Schön behauen, mächtig, vielleicht würde sie dabei sogar verschämt an einen Phallus denken. Für Gryf hingegen war der Ort voller lebendiger Erinnerungen und die Bilder standen mit einem Mal wieder so plastisch vor seinen Augen, als hätten sich die Ereignisse erst gestern abgespielt. Er hörte aufrührerische Reden voller Hass, das Klirren von Rüstungen, Schlachtenlärm, Todesschreie. Er sah römische Armeen marschieren, die fanatischen Gesichter siegessicherer britischer Krieger und sich selbst, wie er sie eindringlich vor den Römern warnte. Aber sie hörten nicht auf ihn, da sie achtfache Überzahl besaßen - und rannten in den Tod. Ja, so war das damals gewesen…
Gryf strich sich unwillkürlich durch das wirre, blonde Kurzhaar. Einst, als die Insel noch den Druiden gehörte, war Bryn Celli Ddu eines ihrer größten Heiligtümer gewesen. Von hier aus hatten die Druiden, zu denen auch er sich gezählt hatte, die Briten zum Widerstand gegen die Römer aufgerufen. Doch der römische Statthalter Gaius Suetonius Paulinus war energisch gegen die Aufständischen vorgegangen und im Jahre 61 nach Christus bei Atherstone mit rund 10 000 Soldaten auf 80 000 zu allem entschlossene britische Kämpfer unter der Führung Boudiccas getroffen. Doch Gryfs Warnungen hatten sich damals auf schreckliche Weise bewahrheitet. Die Disziplin der Römer und deren überlegene Waffen hatten ausgereicht, um die keilförmig anstürmenden Briten im Nahkampf zu besiegen. Danach war es zu einem Gemetzel an Kindern und Frauen gekommen, so dass an diesen zwei unglückseligen Tagen über 150 000 Briten und nur 400 Römer ihr Leben gelassen hatten. Auch Gryf war kurzzeitig freiwillig in die Gefangenschaft der Römer gegangen, die ihn aber nicht halten konnten. Per zeitlosem Sprung hatte er sich aus der stinkenden Gefängniszelle befreit, nachdem er Mona, der wunderschönen Druidin, der damals sein Herz gehört hatte, nicht mehr hatte helfen können. In seinen Armen war sie gestorben und ihre Seele nach Avalon gegangen.
Gryf seufzte erneut. Manchmal, wenn er Zeit hatte, wanderte er über die Insel, auf der er seit Ewigkeiten wohnte und schwelgte dabei in Erinnerungen. Er liebte das. In den über 8000 Jahren seines Lebens hatten sich eine Menge davon angesammelt, gute wie schlechte, aber keine davon war verloren gegangen. Das magische Gedächtnis des Silbermonddruiden speicherte selbst die kleinste davon auf ewige Zeiten. So wusste er genau, dass er bereits mit 162.789 Frauen und Mädchen geschlafen hatte und die Kleine dort unten, die soeben wieder ins Freie trat, die Nummer 162 790 werden würde. Ja, es hatte Zeiten gegeben, da waren 160, 170 Mädchen im Jahr normal
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