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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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werden, unter denen die Flüsse strömten. Und konnte man ein besseres Werk tun, als eine kranke Feindin zu besuchen?
    Theo hatte natürlich niemals direkt gesagt, daß seine Großmutter die pakistanische Gemeinde insgesamt haßte und jedem einzelnen ihrer Mitglieder Böses wünschte. Doch ihre Aversion gegen die Immigranten, die sich in Balford-le-Nez niedergelassen hatten, war stets unausgesprochene Realität zwischen Sahlah und dem Mann, den sie liebte, gewesen. Hatte sie genauso getrennt wie Sahlahs klar und deutlich ausgesprochene Worte darüber, welche Pläne ihre Eltern für ihre Zukunft hatten.
    Sahlah wußte, daß die Liebe zwischen ihr und Theo von Anfang an unmöglich gewesen war. Tradition, Religion und Kultur waren gegen sie gewesen. Aber jemandem die Schuld daran geben zu können, daß ein Leben mit Theo unmöglich war, war eine Versuchung, gegen die sie von Anfang an hatte ankämpfen müssen. Und wie leicht war es, jetzt die Worte des heiligen Qur'aan zu verdrehen, eine Rechtfertigung dessen, was Theos Großmutter zugestoßen war, aus ihnen zu machen: »Alles Gute, das dir (o Mensch) geschieht, kommt von Allah, und alles Übel, das dir geschieht, kommt von dir selbst.«
    So konnte sie behaupten, Mrs. Shaws neuerliche Erkrankung sei die direkte Folge des Hasses, den sie in sich selbst genährt und bei anderen gefördert hatte. Aber Sahlah wußte, daß sie dieselben Worte aus dem Qur'aan auch auf sich selbst anwenden konnte. Denn so sicher wie Theos Großmutter war auch ihr Übel geschehen. Und ebenso sicher war dieses Übel die direkte Folge ihres eigenen selbstsüchtigen und unrechten Verhaltens.
    Sie wollte nicht darüber nachdenken, wie das Übel geschehen war und was sie tun würde, um es zu beenden. In Wirklichkeit wußte sie ja nicht, was sie tun würde. Sie wußte nicht einmal, wo sie anfangen sollte, obwohl sie eben jetzt im Korridor eines Krankenhauses saß, wo Eingriffe, die schönfärberisch als notwendige Maßnahmen bezeichnet wurden, wahrscheinlich jeden Tag vorgenommen wurden.
    Als Rachel gekommen war, war sie einen Moment tief erleichtert gewesen. Als ihre Freundin gesagt hatte: »Ich hab's getan«, war ihr eine solche Last von den Schultern gefallen, daß sie das Gefühl gehabt hatte, fliegen zu können. Doch als sich gezeigt hatte, was Rachel mit ihren Worten gemeint hatte, daß sie eine Wohnung gekauft hatte, in die Sahlah, wie sie wußte, niemals einziehen würde, hatte die Verzweiflung sie von neuem zu Boden gedrückt. Rachel war ihre einzige Hoffnung gewesen. Mit ihrer Hilfe, hatte sie geglaubt, hätte sie sich in aller Heimlichkeit und mit minimalem Risiko des offenkundigen Zeichens ihrer Sünde gegen ihre Religion und ihre Familie entledigen können. Jetzt, wußte sie, würde sie allein handeln müssen. Und sie hatte keine Ahnung, wo sie anfangen sollte.
    »Sahlah? Sahlah?«
    Sie fuhr zusammen, als sie ihren Namen hörte, ausgesprochen in dem gleichen gedämpften Ton, den er gebraucht hatte, wenn sie sich abends in der Birnenplantage getroffen hatten. Theo stand rechts von ihr, unversehens aufgehalten auf dem Weg zum Zimmer seiner Großmutter, in der einen Hand eine Dose Cola, die mit Feuchtigkeit beschlagen war.
    Automatisch griff sie nach dem Anhänger an ihrem Hals, sowohl um ihn vor ihm zu verbergen, als auch aus einem Bedürfnis nach innerem Halt. Doch er hatte das Fossil schon gesehen und die Tatsache, daß sie es trug, offensichtlich auf seine Weise interpretiert, denn er kam zu der Bank, auf der sie saß, und setzte sich neben sie. Er stellte die Coladose auf den Boden. Sie sah ihm dabei zu und ließ ihren Blick dann auf der Dose ruhen.
    »Rachel hat es mir gesagt, Sahlah«, sagte er. »Sie glaubt -«
    »Ich weiß, was sie glaubt«, flüsterte Sahlah. Sie wollte Theo bitten zu gehen oder sich wenigstens auf die andere Seite des Korridors zu stellen und so zu tun, als wäre ihr Gespräch nichts weiter als besorgte Frage nach dem Befinden seiner Großmutter ihrerseits und höflicher Dank für ihre Anteilnahme seinerseits. Doch nach den langen Wochen der Trennung wirkte seine Nähe auf sie wie ein Rauschmittel. Ihr Herz wollte mehr und noch mehr, obwohl ihr Verstand ihr sagte, daß ihre einzige Möglichkeit, sich selbst zu helfen und letztlich zu überleben, darin bestand, sich zu bescheiden.
    »Wie konntest du das nur tun?« fragte er. »Diese Frage beschäftigt mich unaufhörlich, seit ich mit ihr gesprochen habe.«
    »Bitte, Theo. Es hilft nicht, darüber zu reden.«
    »Es

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