09 - Denn sie betrügt man nicht
Leuten im Schlepptau auf, um ein großes Theater um den Mord zu machen und sich selbst als Unschuldslamm hinzustellen.«
»Ja, um den Eindruck zu erwecken, er wäre das, was er in Wirklichkeit nie war: ein Bruder unter Brüder, dem es einzig darum ging, den Mord an Querashi aufzuklären.«
»Klar, hätte er uns vielleicht mit seinen Forderungen, Querashis Mörder zu fassen, die Hölle heiß gemacht, wenn er selbst der Mörder gewesen wäre?«
»Das sollte ich glauben, ja«, sagte Emily. »Aber ich habe es nie geglaubt. Nicht einen Moment lang.«
Sie ging zum Fenster, wo immer noch der Kissenbezug hing, den sie am vergangenen Tag angebracht hatte, um die Sonne abzuhalten. Sie riß ihn herunter. Sie beugte sich aus dem Fenster hinaus und sah auf die Straße. Sie sagte: »Das ist das schlimmste. Das ist der Teil, den ich hasse.«
Das Warten, dachte Barbara. Die Notwendigkeit, selbst hinter den Linien zu bleiben, um die Truppen zu dirigieren, während die Informationen in der Dienststelle einliefen. Das war die negative Seite an der Position, die Emily sich erkämpft hatte. Sie konnte nicht überall zugleich sein. Sie mußte sich auf die Tüchtigkeit und die Hartnäckigkeit ihres Teams verlassen.
»Chefin?« Emily drehte sich mit einem Ruck herum. Belinda Warner stand an der Tür. »Wer hat sich gemeldet?« fragte sie.
»Es geht um diesen Pakistani. Er ist wieder unten. Er -«
»Um welchen Pakistani?«
»Sie wissen schon. Mr. Azhar. Er ist in der Wache und möchte Sie sprechen. Oder Sergeant Havers. Er hat gesagt, Sergeant Havers wäre auch in Ordnung. Der Kollege in der Wache hat gesagt, er sei völlig aufgelöst.«
»Was, zum Teufel, tut er in der Wache?« fragte Emily. »Ich dachte, er ist bei Fahd Kumhar. Ich hab' ihn bei ihm gelassen. Ich hab' ausdrückliche Anweisung gegeben -« Sie unterbrach sich selbst. »Um Gottes willen«, sagte sie, blaß werdend.
»Was ist?« Barbara war aufgesprungen. Die Vorstellung eines völlig aufgelösten Azhar hatte sie aufgeschreckt. Der Pakistani war normalerweise so beherrscht, daß diese Vorstellung sie aufs höchste beunruhigte. »Was ist denn los?«
»Er sollte die Dienststelle nicht verlassen«, antwortete Emily. »Er sollte bei Kumhar bleiben, bis wir seinen Vetter dingfest gemacht haben. Aber als ich aus dem Vernehmungsraum gegangen bin, habe ich vergessen, den Leuten unten in der Wache zu sagen, daß er das Haus nicht verlassen darf.«
»Was wollen Sie?« Belinda wartete auf Anweisungen.
»Ich werde mich um ihn kümmern«, blaffte Emily.
Barbara folgte ihr. Im Laufschritt rannten sie den Korridor und dann die Treppe hinunter. Im Erdgeschoß ging Taymullah Azhar rastlos in dem kleinen Vorraum hin und her.
»Barbara!« rief er, als er die beiden Frauen sah. Alles Bemühen, Haltung zu bewahren, löste sich in einem Moment heller Panik auf. Sein Gesicht war verzweifelt. »Barbara, sie ist weg. Er hat Hadiyyah entführt.«
»Lieber Gott«, sagte Barbara und meinte es als Gebet. »Was sagen Sie da, Azhar? Mein Gott. Sind Sie sicher?«
»Als ich hier fertig war, bin ich ins Hotel zurückgefahren. Mr. Treves hat es mir gesagt. Mrs. Porter war bei ihr. Sie erinnerte sich an ihn. Sie hatte ihn ja neulich abend gesehen. Mit uns. Sie erinnern sich. In der Bar. Sie glaubte, es wäre verabredet gewesen ...«
Gleich würde er zu hyperventilieren anfangen.
Impulsiv legte Barbara ihm den Arm um die Schultern. »Azhar, wir holen sie zurück«, sagte sie und drückte ihn. »Azhar, wir holen sie zurück. Ich schwöre es. Ich verspreche Ihnen, daß wir sie zurückholen.«
»Was zum Teufel ist hier eigentlich los?« fragte Emily scharf.
»Hadiyyah ist seine Tochter. Sie ist acht Jahre alt. Muhannad hat sie entführt. Sie glaubte offensichtlich, es wäre in Ordnung, mit ihm zu gehen.«
»Sie weiß, daß sie nicht mit Fremden mitgehen darf«, sagte Azhar. »Niemals. Unter keinen Umständen. Sie weiß es doch.«
»Ja, aber Muhannad ist für sie kein Fremder«, erinnerte ihn Barbara. »Sie hat zu ihm gesagt, sie würde gern seine Frau und seine Kinder kennenlernen. Erinnern Sie sich, Azhar? Sie haben es doch auch gehört. Genau wie ich. Und Sie hatten ja keinen Anlaß zu glauben ...« Sie wollte ihm so gern die Schuldgefühle nehmen, die ihn quälten. Aber sie konnte es nicht. Es war ja sein Kind.
»Was zum Teufel ist hier los?« wiederholte Emily.
»Das habe ich dir doch eben gesagt. Hadiyyah -«
»Ich pfeif auf Hadiyyah, wer immer sie ist. Kennst du diese Leute, Barbara?
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