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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Bürgerrechten meinte, aber sie wollte ihn zwingen, es auszusprechen. Sie wollte ihn dazu zwingen, weil sie streiten wollte. Und wenn sie in ihrem jetzigen Zustand - in einem Körper gefangen, der ihr jeden Moment den Dienst zu versagen drohte - schon nicht den totalen Kampf ohne Rücksicht auf Verluste haben konnte, nach dem es sie gelüstete, würde sie sich eben mit einem Wortgefecht begnügen. Ein guter Streit war besser als gar nichts.
    Aber Theo ließ sich nicht herausfordern. Und bei näherer Überlegung mußte Agatha zugeben, daß diese Weigerung, sich von ihr reizen zu lassen, durchaus als ein positives Zeichen gesehen werden konnte. Er mußte sich eine härtere Schale zulegen, wenn er die Firma Shaw Enterprises nach ihrem Tod mit Erfolg weiterführen wollte. Vielleicht hatte der Prozeß schon begonnen.
    »Die Asiaten trauen der Polizei nicht«, erklärte er. »Sie glauben nicht, daß sie als Gleichberechtigte behandelt werden. Sie wollen das allgemeine Interesse an den Ermittlungen wachhalten, um auf diese Weise die Kriminalpolizei unter Druck zu setzen.«
    »Ich finde, wenn sie als Gleichberechtigte behandelt werden wollen - und ich kann nur vermuten, daß das heißen soll, wie ihre englischen Mitbürger -, sollten sie vielleicht ausnahmsweise einmal daran denken, sich wie ihre englischen Mitbürger zu verhalten.«
    »Ach, es hat doch in den vergangenen Jahren genug Demonstrationen gegeben, die von Weißen organisiert wurden«, entgegnete Theo. »Die Unruhen wegen der Kopfsteuer, die Proteste gegen die Fuchsjagden, die Bewegung zur -«
    »Ich spreche nicht von Demonstrationen«, unterbrach sie ihn. »Ich spreche davon, daß sie sich entschließen sollten, sich wie Engländer zu benehmen, wenn sie wie Engländer behandelt werden wollen. Sich zu kleiden wie Engländer. Sich in ihrem Glauben nach englischen Gepflogenheiten zu richten. Ihre Kinder wie Engländer zu erziehen. Wenn jemand in ein anderes Land auswandert, sollte er nicht erwarten, daß dieses Land sich nach seinen Eigenheiten richtet, Theo. Und wenn ich an deiner Stelle in dieser Stadtratssitzung gewesen wäre, hätte ich genau das gesagt, darauf kannst du dich verlassen.«
    Theo faltete akkurat seine Serviette und legte sie neben seinen Teller, wie Agatha es ihn gelehrt hatte. »Das bezweifle ich nicht, Großmutter«, erwiderte er im Ton bitterer Erheiterung. »Und du wärst natürlich hinterher mitten ins Gewoge hineinmarschiert und hättest ein paar Leute deinen Stock spüren lassen.« Er schob seinen Stuhl zurück und ging zu ihr. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und küßte ihre Stirn.
    Agatha stieß ihn unwirsch weg. »Hör auf mit diesem Unsinn. Außerdem hat Mary Ellis den Käse noch nicht hereingebracht.«
    »Auf den verzichte ich heute abend.« Theo ging zur Tür. »Ich hole das Display aus dem Wagen.«
    Das hatte er getan, und es stand jetzt vor ihr. Das Balford-le-Nez von heute war in all seiner Baufälligkeit auf der mittleren Staffelei dargestellt: die verlassenen Häuser längs des Strandes mit den vernagelten Fenstern und den verwitterten Holzbalken, von denen die Farbe abblätterte wie sonnenverbrannte Haut; die todgeweihte High Street, wo jedes Jahr ein anderes Geschäft für immer seine Türen schloß; die ungepflegte Badeanstalt, deren Gestank nach Schwamm und faulendem Holz eine Kamera nicht einfangen konnte. Und wie auf der Staffelei mit den Bildern vergangener Pracht befand sich auch unter diesen Aufnahmen eine Fotografie der Pier, die Agatha gekauft, die sie renoviert, die sie wiederhergestellt und zu neuem Glanz aufpoliert hatte, die sie wie Gott persönlich mit neuem Leben erfüllt und zu einer unausgesprochenen Verheißung für das Städtchen am Meer gemacht hatte, in dem sie ihr Leben zugebracht hatte.
    Diesem Leben und seinem bevorstehenden Ende sollte das Balford der Zukunft einen Sinn geben: mit einladenden Hotels, Geschäften an der Promenade, deren Betreiber durch garantiert niedrige Grundmieten und das Engagement der Vermieter für Stadterneuerung und -verschönerung angelockt werden sollten, mit edelsanierten Häusern, neubepflanzten Parks - großen Parks, nicht so ein paar lumpigen grünen Fleckchen, die dann jemand nach der pakistanischen Mutter auf einen unaussprechlichen Namen taufte - und mit zusätzlichen Attraktionen an der Promenade. Es gab Pläne für ein Sport- und Freizeitzentrum, für ein renoviertes Hallenbad, für Tennis- und Squashplätze, für einen neuen Cricketplatz. So sollte

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