09 - Denn sie betrügt man nicht
sagen, vermutete allerdings das letztere.
Er nahm seinen Löffel zur Hand, begann aber nicht gleich zu essen, sondern sagte zuerst, ganz ohne Ironie: »Was für ein Zufall, daß Sie für den Urlaub ausgerechnet den Ort gewählt haben, wo Hadiyyah und ich sind, Barbara. Und ein noch größerer Zufall ist es, daß wir alle im selben Hotel wohnen.«
»Das ist doch toll«, erklärte Hadiyyah vergnügt. »Da können Barbara und ich wenigstens Zusammen sein. Und wenn du weg mußt, Dad, kann Barbara jetzt auf mich aufpassen. Mrs. Porter ist schon ganz nett«, teilte sie Barbara mit gesenkter Stimme mit. »Ich mag sie. Aber sie kann nicht gut laufen, weil sie irgendeine Krankheit hat.«
»Hadiyyah«, mahnte ihr Vater leise. »Dein Frühstück.«
Hadiyyah senkte den Kopf, aber nicht bevor sie Barbara mit einem strahlenden Lächeln angesehen hatte. Ihre Füße schlugen unternehmungslustig an die Beine ihres Stuhls.
Barbara wußte, daß es sinnlos gewesen wäre zu lügen. Gleich beim ersten Treffen zwischen der Polizei und den Vertretern der pakistanischen Gemeinde würde Azhar die Wahrheit über ihre Tätigkeit in Balford entdecken. Aber sie war froh, das wurde ihr jetzt bewußt, daß sie ihm etwas Wahres erzählen konnte, ohne den ursprünglichen Grund für ihre überstürzte Reise nach Essex aufdecken zu müssen.
»Tja, eigentlich bin ich dienstlich hier«, sagte sie. »Oder sagen wir, quasi dienstlich.« Leichten Tons erzählte sie ihm, daß sie nach Balford gekommen sei, um einer alten Freundin bei der örtlichen Kriminalpolizei unter die Arme zu greifen: der Beamtin, die die Ermittlungen in einem Mordfall leitete. Sie machte eine Pause, um seine Reaktion abzuwarten. Sie war typisch für Azhar: Er zuckte kaum mit der Wimper. »Vor drei Tagen wurde nicht weit von hier ein Mann namens Haytham Querashi ermordet aufgefunden«, fuhr sie fort und fügte mit Unschuldsmiene hinzu: »Er hat übrigens auch in diesem Hotel gewohnt. Haben Sie von dieser Geschichte gehört, Azhar?«
»Und Sie arbeiten an diesem Fall mit?« fragte Azhar. »Wie ist das möglich? Sie sind doch in London stationiert.«
Barbara jonglierte ein wenig mit der Wahrheit. Sie habe einen Anruf von ihrer alten Freundin Emily Barlow erhalten, erklärte sie. Em habe irgendwie Wind davon bekommen - »Das Buschtelefon funktioniert auch bei der Polizei bestens« -, daß Barbara im Augenblick Urlaub habe. Daraufhin habe sie angerufen und Barbara gebeten, nach Essex zu kommen. Tja, und hier sei sie nun.
Barbara knetete den Teig ihrer Freundschaft mit Emily, bis er richtig schön aufging und es sich anhörte, als wären sie ein Mittelding zwischen Seelenfreundinnen und siamesischen Zwillingen. Als sie sicher war, ihn davon überzeugt zu haben, daß sie für Emily durchs Feuer gehen würde, erzählte sie weiter: »Em hat mich gebeten, die Polizei in einem Ausschuß zu vertreten, dessen Aufgabe es ist, die asiatische Gemeinde hier in der Stadt über den Gang der Ermittlungen ständig auf dem laufenden zu halten.«
Und wieder wartete sie seine Reaktion ab.
»Wieso gerade Sie?« Azhar legte seinen Löffel weg. »Leidet die örtliche Polizeidienststelle unter Personalmangel?«
»Die gesamte Kriminalpolizei ist mit den Ermittlungen selbst befaßt«, erklärte Barbara ihm, »und das ist ja auch sicher das, was die pakistanische Gemeinde wünscht. Meinen Sie nicht?«
Azhar nahm seine Serviette vom Schoß. Er faltete sie ordentlich und legte sie neben seinen Teller. »Dann sind wir beide in ähnlicher Mission hier.« Azhar sah seine Tochter an. »Hadiyyah, bist du fertig? Ja? Gut. Ich habe den Eindruck, Mrs. Porter würde gerne mit dir Pläne für den heutigen Tag machen.«
Hadiyyah sah niedergeschmettert aus. »Aber ich hab' gedacht, Barbara und ich -«
»Barbara hat uns eben erklärt, daß sie dienstlich hier ist, Hadiyyah. Geh zu Mrs. Porter. Hilf ihr in den Garten hinaus.«
»Aber -«
»Hadiyyah, keine Widerrede.«
Sie schob ihren Stuhl zurück und trottete mit hängenden Schultern durch den Saal zu Mrs. Porter, die in der Tat mit heftig zitternden Händen versuchte, ihre Gehhilfe vor ihrem Stuhl aufzustellen. Azhar wartete, bis Hadiyyah und die alte Dame durch die Terrassentür hinausgegangen waren, dann wandte er sich wieder Barbara zu.
Genau in diesem Moment schwirrte Basil Treves mit Barbaras Frühstück in den Saal und stellte es mit schwungvoller Bewegung vor ihr ab. »Wenn Sie mich brauchen, Sergeant ...«, sagte er mit seiner vielsagenden Kopfbewegung
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