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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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von einem Gummiband gehalten, das zwischen den beiden Knöpfen gespannt war. Die »Aussicht« konnte man durch ein kleines Fenster über der Toilette genießen, vier schmutzige Glasscheiben hinter einem lappigen Vorhang, auf dem Delphine aus schäumenden Wellen hochsprangen, die längst die triste Farbe eines winterlichen Himmels angenommen hatten.
    Barbara nahm das Ambiente mit einem »Uah« zur Kenntnis und musterte ihr Gesicht in dem von Altersflecken gesprenkelten Spiegel über dem Becken, der mit Abziehbildern von pfeileschießenden Cupidos verziert war. Sie nahm den Anblick ihres Gesichts mit einem weiteren, inbrünstigen »uah« auf. Die farbliche Vielfalt der Verletzungsspuren in ihrem Gesicht bildete zusammen mit den Schlafknittern auf ihrer linken Wange ein wenig gefälliges Ensemble; es war eine Zumutung, sich vor dem Frühstück so etwas ansehen zu müssen. Da verging einem wirklich der Appetit. Barbara wandte sich von ihrem Spiegelbild ab, um die Aussicht zu genießen, die das Klofenster bot.
    Es war so weit wie möglich geöffnet und gewährte generöse fünfzehn Zentimeter frische Morgenluft. Sie sog sie tief in ihre Lunge und rieb sich mit beiden Händen ihr struppiges Haar, während sie über den grasbewachsenen Hang hinweg zum Meer hinausblickte.
    Das Burnt House Hotel, das auf einer Anhöhe etwa anderthalb Kilometer nördlich der Ortsmitte stand, war ideal gelegen für Reisende, die nur auf der Suche nach einer schönen Aussicht nach Balford kamen. Im Süden krümmte sich halbmondförmig der Sandstrand von Princes Beach, von drei steinernen Wellenbrechern geschützt. Im Osten zog sich der Rasen bis hin zu einem Küstenfelsen, hinter dem sich in endloser Weite das Meer dehnte, völlig ruhig an diesem Morgen und begrenzt von einer grauen Nebelbank, die am fernen Horizont hing und kühleres Wetter versprach. Im Norden reckten die Kräne des fernen Hafens von Harwich ihre Dinosaurierhälse hoch über die Fähren, die auf ihrem Weg nach Europa durch das Wasser glitten. Das alles konnte Barbara von ihrem Fenster aus sehen, so klein es war, und das alles und mehr würde sich jedem darbieten, der in einem der altersschwachen Liegestühle auf dem Hotelrasen saß.
    Ein Landschaftsmaler oder Skizzenzeichner würde das Burnt House Hotel für seine Zwecke vielleicht ideal finden, dachte Barbara, aber im Hinblick auf Touristen, die in Balford-le-Nez mehr wollten als nur eine schöne Aussicht, hatte man bei der Standortwahl des Hotels eine wirtschaftliche Riesendummheit begangen. Die Entfernung zwischen dem Hotel und dem Ort selbst mit seiner Strandpromenade, dem Vergnügungspier und der High Street unterstrich das. An diesen Orten nämlich, die gewissermaßen das kommerzielle Herz der Stadt bildeten, gaben die Touristen ihr Geld aus, und die konnten sie von den anderen Hotels, Pensionen und Sommerhäusern aus bequem zu Fuß erreichen, nicht jedoch vom Burnt House Hotel aus. Eltern mit kleinen Kindern, junge Leute, die sich in das fragwürdige Nachtleben, das der Ort heute noch zu bieten hatte, stürzen wollten, Urlauber, die auf alles vom Strand bis zum Souvenir scharf waren, würden hier draußen, nördlich von Balford, nicht finden, was sie suchten. Sie konnten natürlich in die Stadt gehen. Aber es gab keinen direkten Weg, der am Meer entlangführte. Wollte man vom Burnt House Hotel aus zu Fuß in die Stadt, so mußte man zuerst die Nez Park Road landeinwärts marschieren und dann wieder hinaus zur Strandpromenade.
    Basil Treves, sagte sich Barbara, konnte von Glück reden, wenn überhaupt jemand in seinem Hotel abstieg, egal um welche Jahreszeit. Und das hieß, daß es ein Glück für ihn gewesen war, Haytham Querashi als Dauergast bei sich zu haben. Was wiederum die Frage aufwarf, ob Treves vielleicht eine Rolle bei Querashis Heiratsplänen gespielt hatte. Es war eine interessante Spekulation.
    Barbara sah zum Vergnügungspier hinüber. An seinem Ende, dort, wo früher Jack 'Awkins Cafeteria gewesen war, wurde heftig gebaut. Und selbst auf diese Entfernung konnte sie erkennen, daß der Pier selbst in taufrischen Farben prangte, weiß, grün, blau und orange, und daß an den Masten, die seine beiden Seiten säumten, bunte Fahnen flatterten. Das alles hatte es noch nicht gegeben, als sie das letzte Mal in Balford gewesen war.
    Barbara wandte sich ab. Wieder vor dem Spiegel, musterte sie prüfend ihr Gesicht und fragte sich, ob die Idee, die Pflaster zu entfernen, wirklich so grandios gewesen war, wie sie

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