09 - Denn sie betrügt man nicht
Aber auf ihnen lag die Wahrheit.
»Die Treppe«, sagte Barbara leise. »Mensch, Em, er muß die Treppe runtergefallen sein. Daher die vielen Blutergüsse.«
Emily sah von den Fotos des Leichnams auf. »Schau dir seine Hose an, Barb. Und sein Bein. Weißt du was, da hatte jemand einen Stolperdraht gespannt.«
»Wahnsinn! Hat man irgendwas in der Art am Tatort gefunden?« fragte Barbara.
»Ich werd' mal nachfragen«, antwortete Emily. »Aber es ist ein öffentlich zugänglicher Ort. Selbst wenn da ein Draht gefunden wurde - was ich bezweifle -, wäre es für jeden Verteidiger, der sein Handwerk versteht, ein leichtes, das hinwegzuerklären.«
»Wenn nicht Fasern von Querashis Hose daran sind.«
»Ja, wenn«, meinte Emily. Sie machte sich eine Notiz.
Barbara nahm sich die anderen Aufnahmen des Fundorts vor.
»Der Mörder muß die Leiche in den Bunker gebracht haben, nachdem Querashi die Treppe heruntergestürzt war. Habt ihr Spuren gefunden, Em? Fußabdrücke im Sand? Irgendeinen Hinweis darauf, daß die Leiche von der Treppe zum Bunker geschleift worden war?« Dann fiel ihr ein, was Emily vorher gesagt hatte. »Nein, natürlich nicht. Wegen der Flut.«
»Genau.« Emily kramte in einer ihrer Schreibtischschubladen und brachte ein Vergrößerungsglas zum Vorschein. Sie studierte aufmerksam die Fotografie von Querashis Bein. Sie suchte in dem Autopsiebericht und sagte: »Hier haben wir es. Die Schnittwunde ist vier Zentimeter lang. Er hat sie sich irgendwann kurz vor seinem Tod zugezogen.« Sie legte den Bericht zur Seite und sah Barbara an, doch der geistesabwesende Ausdruck auf ihrem Gesicht verriet, daß sie in Wirklichkeit den Nez sah, den Nez in der Dunkelheit, ohne ein Licht, das den arglosen Spaziergänger auf den Draht aufmerksam gemacht hätte, der quer über die Treppe gespannt worden war, um einen tödlichen Sturz zu verursachen.
»Was für eine Art von Draht suchen wir?« Es war eine rhetorische Frage. »Einen Elektrodraht?«
»Der hätte keine Schnittwunde verursacht«, meinte Barbara.
»Außer man hätte ihn bloßgelegt«, versetzte Emily. »Das hätte man auf jeden Fall tun müssen, weil man ihn sonst trotz Dunkelheit hätte sehen können.«
»Hm. Könnte sein. Aber wie wär's mit einer Angelschnur? Aus irgendeinem stabilen Material, wie es in der Sportfischerei verwendet wird. Aber außerdem dünn. Und biegsam.«
»Da haben wir's schon«, sagte Emily. »Man könnte auch an Klavierseiten denken. Oder an das Zeug, das die Chirurgen zum Nähen verwenden. Oder Blumendraht.«
»Mit anderen Worten, es kommt praktisch alles in Frage, was dünn, stabil und biegsam ist.« Barbara legte die Plastikbeutel mit ihrer Sammlung von Gegenständen aus Querashis Zimmer auf den Schreibtisch. »Dann schau dir mal diese Sachen an. Die sind aus seinem Zimmer. Die Maliks wollten da übrigens rein.«
»Das glaub' ich gern«, sagte Emily etwas rätselhaft. Sie zog Latexhandschuhe über und öffnete die Beutel. »Hast du die Sachen als Beweisstücke erfassen lassen?«
»Ja, gleich als ich kam. Der Beamte läßt dir übrigens ausrichten, er hätte nichts gegen einen Ventilator.«
»Der träumt wohl«, murmelte Emily. Sie blätterte das gelb gebundene Buch aus Querashis Nachttischschublade durch. »Es war also kein Verbrechen im Affekt. Es war vorsätzlicher Mord, genau geplant von jemandem, der wußte, wohin Querashi wollte, als er am Freitag abend das Burnt House Hotel verließ. Möglicherweise von eben der Person, die er auf dem Nez treffen wollte. Oder von jemandem, der diese Person kannte.«
»Es muß ein Mann gewesen sein«, meinte Barbara. »Da die Leiche weggeschafft wurde, kann es nur ein Mann gewesen sein.«
»Oder ein Mann und eine Frau, die zusammengearbeitet haben«, widersprach Emily. »Oder sogar eine Frau allein, wenn die Leiche von der Treppe zum Bunker gezogen wurde. Das hätte eine Frau schaffen können.«
»Aber warum hat man die Leiche überhaupt weggebracht?« fragte Barbara.
»Damit sie nicht gleich entdeckt wird, vermute ich. Obwohl« - Emilys Stimme klang nachdenklich -, »wenn das der Zweck der Übung war, weshalb hat man dann den Wagen stehenlassen? Der so offensichtlich durchsucht worden war. Das war doch das reinste Signal dafür, daß etwas nicht in Ordnung war. Der wäre doch jedem, der vorbeikommt, sofort aufgefallen und hätte ihn argwöhnisch gemacht.«
»Vielleicht hatte es der Bursche, der den Wagen durchsucht hat, so eilig, daß er keine Rücksicht darauf nehmen konnte, ob
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