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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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vergessener Gerüche. Die Welt, sagte sich Stinker, so riecht die Welt. Er wusste nicht, wie lange er unten im Verlies gewesen war, doch es musste wenigstens ein halbes Jahr gewesen sein. So lang oder noch länger. Wenn es nun fünf Jahre waren oder zehn oder sogar zwanzig? Hätte ich es gemerkt? Was ist, wenn ich da unten verrückt geworden bin und mein halbes Leben um ist? Aber nein, das war töricht. So lange konnte es nicht gewesen sein. Die Jungen waren immer noch Jungen. Hätte er zehn Jahre dort unten verbracht, wären sie längst zu erwachsenen Männern herangewachsen. Das durfte er nicht vergessen. Ich darf mich von ihm nicht in den Wahnsinn treiben lassen. Er kann mir meine Finger und meine Zehen nehmen, er kann meine Augen ausstechen und meine Ohren abschneiden, doch den Verstand kann er mir nur rauben, wenn ich es zulasse.
    Der Kleine Walder ging mit der Fackel in der Hand voran. Stinker folgte unterwürfig, und hinter ihm ging der Große Walder. Die Hunde bellten, als sie an den Zwingern vorbeikamen. Wind pfiff durch den Hof und schnitt durch den dünnen Stoff der schmutzigen Lumpen, die er trug. Er bekam eine Gänsehaut. Die Nachtluft war kalt und feucht, aber er sah kein Zeichen von Schnee, obwohl der Winter zweifellos vor der Tür stand. Stinker fragte sich, ob er den ersten Schneefall noch erleben würde. Wie viele Finger werde ich haben? Wie viele Zehen? Als er eine Hand hob, erschrak er, weil sie so weiß war und gar kein Fleisch mehr hatte. Haut und Knochen, dachte er. Ich habe Hände wie ein alter Mann. Konnte er sich mit den Jungen geirrt haben? Was, wenn es nun nicht der Kleine und der Große Walder waren, sondern die Söhne der Jungen, die er früher einmal gekannt hatte?
    In der Großen Halle war es düster und verraucht. Rechts und links brannten Reihen von Fackeln, die von Händen aus Menschenknochen gehalten wurden, welche aus den Wänden ragten. Hoch über den Köpfen waren die Balken schwarz vom Rauch, und die Gewölbedecke verlor sich im Schatten. In der Luft lag schwer der Duft von Wein und Bier und gebratenem Fleisch. Sein Magen knurrte laut, und das Wasser lief ihm im Munde zusammen.
    Der Kleine Walder schob ihn an den langen Tischen vorbei, an denen die Männer der Burg aßen. Stinker spürte ihre Blicke. Die besten Plätze nahe dem Podest waren von Ramsays Lieblingen besetzt, den Burschen des Bastards. Ben Knochen, der alte Mann, der die geliebten Jagdhunde seiner Lordschaft hütete. Damon, genannt Damon-tanz-für-mich, blond und knabenhaft. Grunzer, der seine Zunge eingebüßt hatte, weil er sie in Hörweite von Lord Roose nicht im Zaum gehalten hatte. Der Saure Alyn. Häuter. Der Gelbe Dick. Weiter unten beim Fußvolk saßen andere, die Stinker nur vom Sehen kannte; geschworene Schwerter und Feldwebel, Soldaten und Wärter und Folterknechte. Auch Fremde sah er, Gesichter, die ihm unbekannt waren. Manche rümpften die Nase, als er vorbeiging, andere lachten über den Anblick, den er bot. Gäste, dachte Stinker, die Freunde seiner Lordschaft, und man hat mich geholt, um sie zu belustigen. Vor Angst schauderte es ihn.
    An der Hohen Tafel saß der Bastard von Bolton im Sitz seines Hohen Vaters und trank aus seines Vaters Becher. Zwei alte Männer teilten die Hohe Tafel mit ihm, und mit einem Blick wusste Stinker, dass sie beide Lords waren. Einer war hager und hatte schwarze Augen, einen langen weißen Bart und ein Gesicht so hart wie der Winterfrost. Sein abgetragenes, schmieriges Wams bestand aus Bärenfell. Darunter trug er eine Brünne aus Ringen, sogar hier am Tisch. Der zweite Lord war ebenfalls dünn, doch verdreht, wo der andere gerade war. Eine seiner Schultern saß viel höher als die andere, und er hing über seinem Teller wie ein Geier über einem Stück Aas. Seine Augen waren grau und gierig, seine Zähne gelb und sein Gabelbart ein Wirrwarr aus Schnee und Silber. An seinem fleckigen Schädel klebten nur noch einige weiße Haarsträhnen, aber er trug einen weichen und feinen Mantel aus grauer Wolle, der mit schwarzem Zobel gesäumt und an der Schulter mit einem aus Silber getriebenen Strahlenkranz verschlossen wurde.
    Ramsay trug Schwarz und Rosa – schwarze Stiefel, schwarzer Gürtel, schwarze Scheide, schwarze Lederweste über einem rosa Samtwams mit eingesetztem dunkelrotem Satin. Im rechten Ohr glänzte ein Granat, der in Form eines Blutstropfens geschliffen war. Trotz all der prächtigen Kleidung blieb er ein hässlicher Mann mit groben Knochen und hängenden

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