09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
mitgegangen. Der Wärter lag vollkommen betrunken in einer Lache Wein, die Hosen um die Füße. Die Kerkertür war offen, das Seitentor unbewacht, genau wie sie gesagt hatte. Sie warteten, bis sich der Mond hinter einer Wolke verkroch, dann schlichen sie aus der Burg und wateten durch das Tränenwasser, stolperten über Steine und erfroren halb im eisigen Fluss. Auf der anderen Seite hatte er sie geküsst. »Du hast uns gerettet«, sagte er. Narr. Narr.
Es war eine Falle gewesen, ein Spiel, ein Scherz. Lord Ramsay liebte die Jagd, und er bevorzugte Wild auf zwei Beinen. Die ganze Nacht rannten sie durch den dunklen Wald, doch als die Sonne aufging, hörte sie ein Horn in der Ferne und das Gebell der Hundemeute durch die Bäume. »Wir sollten uns trennen«, schlug er Kyra vor, als die Hunde näher kamen. »Uns beide können sie nicht verfolgen.« Das Mädchen war vor Angst halb durchgedreht, und es wollte sich um keinen Preis von ihm trennen, auch nicht, als er schwor, er würde ein Heer Eisenmänner aufstellen und sie holen, falls sie diejenige wäre, der die Meute folgte.
Innerhalb der nächsten Stunde wurden sie gestellt. Ein Hund warf ihn zu Boden, ein anderer biss Kyra ins Bein, als sie einen Hang hinaufkletterte. Die anderen umzingelten sie, bellten und knurrten und schnappten nach ihnen, sobald sie sich bewegten. So saßen sie fest, bis Ramsay Snow mit seinen Jägersleuten angeritten kam. Damals war er noch ein Bastard gewesen, kein Bolton. »Da seid ihr ja«, hatte er gesagt und sie aus dem Sattel herab angelächelt. »Ihr kränkt mich, einfach so davonzulaufen. Seid ihr meine Gastfreundschaft schon leid?« In dem Augenblick nahm Kyra einen Stein auf und warf ihn nach seinem Kopf. Er flog vorbei, und Ramsay lächelte. »Das muss bestraft werden.«
Stinker erinnerte sich an den verzweifelten, angsterfüllten Blick in Kyras Augen. Nie hatte sie so jung ausgesehen wie in diesem Moment, noch ein halbes Mädchen, aber er konnte ihr nicht helfen. Sie hat uns in diese Lage gebracht, dachte er. Wenn wir uns getrennt hätten, wie ich wollte, wäre einer von uns vielleicht davongekommen.
Bei der Erinnerung daran bekam er kaum Luft. Stinker wandte sich von der Fackel ab. Tränen glitzerten in seinen Augen. Was will er diesmal von mir?, dachte er verzweifelt. Warum lässt er mich nicht einfach in Ruhe? Ich habe nichts Böses getan, diesmal nicht, warum lässt er mich nicht im Dunkeln? Er hatte eine Ratte, eine fette Ratte, die noch warm war und zuckte …
»Sollen wir ihn waschen?«, fragte der Kleine Walder.
»Seine Lordschaft mag es, wenn er stinkt«, erwiderte der Große Walder. »Deshalb hat er ihn Stinker genannt.«
Stinker. Stinker kommt von stinken, das reimt sich auf versinken. Das musste er sich merken. Diene und gehorche und merke dir, wer du bist, dann wird dir kein Leid mehr widerfahren. Er hat es versprochen, seine Lordschaft hat es versprochen. Selbst wenn er hätte Widerstand leisten wollen, so hätte er nicht die Kraft dazu gehabt. Die hatte man ihm mit der Geißel und dem Hunger ausgetrieben, und ja, man hatte sie ihm auch mit der Haut abgezogen. Als der Kleine Walder ihn hochzog und der Große Walder die Fackel schwenkte, um ihn aus der Zelle zu scheuchen, folgte er fügsam wie ein Hund. Hätte er einen Schwanz gehabt, hätte er ihn vermutlich zwischen die Beine geklemmt.
Hätte ich einen Schwanz, hätte der Bastard ihn mir abgeschnitten. Der Gedanke flog ihm ungebeten zu, ein schändlicher Gedanke und gefährlich. Seine Lordschaft war kein Bastard mehr. Bolton, nicht Snow. Der Kindkönig auf dem Eisernen Thron hatte Lord Ramsay legitimiert, ihm das Recht erteilt, den Namen seines Hohen Vaters zu führen. Ihn Snow zu nennen, würde ihn an seine uneheliche Abstammung erinnern und schwarzen Zorn in ihm aufflammen lassen. Stinker durfte das nicht vergessen. Und seinen Namen, den durfte er auch nicht vergessen. Einen halben Herzschlag hatte er ihn vergessen, und das versetzte ihn in solche Angst, dass er auf der steilen Kerkertreppe stolperte und sich die Hose am Stein aufriss. Die Wunde blutete. Der Kleine Walder fuchtelte mit der Fackel in seine Richtung, damit er wieder auf die Beine kam und weiterging.
Draußen im Hof senkte sich die Nacht über Dreadfort, und der Vollmond stieg über die Ostmauer der Burg. Im bleichen Licht warfen die hohen dreieckigen Zinnen ihre Schatten über den gefrorenen Boden wie eine Reihe scharfer schwarzer Zähne. Die Luft war kalt und feucht und voller halb
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