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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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hatte der trauernde Vater ihn genannt. Er war der größte ihrer drei, der grimmigste, der wildeste. Seine Schuppen waren so schwarz wie die Nacht, und seine Augen leuchteten wie Feuergruben.
    Drogon flog bei der Jagd weit hinaus, aber wenn er satt war, lag er gern auf der Spitze der Großen Pyramide in der Sonne, wo einst die Harpyie von Meereen gestanden hatte. Dreimal hatten sie versucht, ihn dort einzufangen, und dreimal waren sie damit gescheitert. Zwei Dutzend ihrer tapfersten Männer hatten ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um ihn zu fangen. Beinahe alle hatten Verbrennungen erlitten, und vier von ihnen waren gestorben. Zum letzten Mal hatte sie Drogon bei Sonnenuntergang des Tages gesehen, an dem sie den dritten Versuch unternommen hatten. Der schwarze Drache war nach Norden über den Skahazadhan auf das hohe Gras des Dothrakischen Meeres zugeflogen. Seitdem war er nicht zurückgekehrt.
    Mutter der Drachen, dachte Daenerys. Mutter der Ungeheuer. Welchen Schrecken habe ich auf die Welt losgelassen? Eine Königin bin ich, doch mein Thron ist aus verbrannten Knochen gemacht und auf Treibsand gegründet. Wie sollte sie ohne Drachen hoffen, Meereen zu halten, geschweige denn, Westeros zurückzuerobern? Ich bin das Blut des Drachen, dachte sie. Und wenn sie Ungeheuer sind, dann bin auch ich ein Ungeheuer.

STINKER
    Die Ratte quiekte, als er hineinbiss, und wand sich heftig in seinen Händen, versuchte verzweifelt, ihm zu entkommen. Der Bauch war der weichste Teil. Er riss an dem süßen Fleisch, das warme Blut rann über seine Lippen. Es schmeckte so gut, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Sein Bauch knurrte, und er schluckte. Nach dem dritten Biss hatte die Ratte den Kampf aufgegeben, und er verspürte beinahe Zufriedenheit.
    Da hörte er die Stimmen draußen vor der Kerkertür.
    Sofort verharrte er still und hatte sogar Angst zu kauen. Sein Mund war voller Blut und Fleisch und Haar, trotzdem wagte er nicht zu spucken oder zu schlucken. Voller Schrecken lauschte er, starr wie Stein, auf das Schlurfen von Stiefeln und das Klimpern von eisernen Schlüsseln. Nein, dachte er, bitte, Götter, nicht jetzt, nicht jetzt. Es hatte ihn so viel Zeit gekostet, die Ratte zu fangen. Wenn sie mich damit erwischen, werden sie sie mir wegnehmen, und dann werden sie es Lord Ramsay sagen, und er wird mir wehtun.
    Er wusste, er sollte die Ratte verstecken, aber er war so hungrig. Seit zwei Tagen hatte er nichts mehr gegessen, vielleicht sogar schon seit drei. Hier unten in der Dunkelheit war das schwer einzuschätzen. Obwohl seine Arme und Beine so dünn wie Weidengerten waren, hatte er einen aufgeblähten Bauch, der so sehr wehtat, dass er nicht schlafen konnte. Wann immer er die Augen schloss, erinnerte er sich an Lady Hornwood. Nach ihrer Hochzeit hatte Lord Ramsay sie in einem Turm eingesperrt und verhungern lassen. Am Ende hatte sie ihre eigenen Finger gefressen.
    Er hockte sich in eine Ecke seiner Zelle und klemmte sich seine Beute unter das Kinn. Das Blut rann ihm aus den Mundwinkeln, während er mit den Resten seiner Zähne an der Ratte knabberte und versuchte, so viel warmes Fleisch hinunterzuschlingen, wie er nur schaffte, bevor sich die Zellentür öffnete. Das Fleisch war sehnig und doch so fett, dass er befürchtete, ihm könne übel werden. Kauend und schluckend zupfte er kleine Knochen aus den Löchern im Zahnfleisch, wo man ihm Zähne gezogen hatte. Das Kauen schmerzte, doch sein Hunger war so groß, dass er nicht aufhören konnte.
    Die Geräusche wurden lauter. Bitte, Götter, lasst ihn nicht zu mir kommen, betete er und riss der Ratte eins ihrer Beine aus. Seit langer Zeit war niemand mehr zu ihm gekommen. Es gab andere Zellen, andere Gefangenen. Manchmal hörte er ihre Schreie sogar durch die dicken Steinwände. Die Frauen schreien immer am lautesten. Er saugte an dem rohen Fleisch und versuchte, den Schenkelknochen auszuspucken, doch er rutschte nur über seine Unterlippe und blieb in seinem Bart hängen. Geht weg, betete er, geht weg, geht vorbei, bitte, bitte.
    Aber die Schritte hörten auf, als sie am lautesten waren, und die Schlüssel klimperten vor seiner Tür. Die Ratte fiel ihm aus den Händen. Er wischte sich die blutigen Finger an der Hose ab. »Nein«, nuschelte er, » neeeein!« Seine Hacken scharrten durch das Stroh, als er versuchte, sich in die Ecke zu drücken, an die kalte feuchte Steinmauer.
    Am schrecklichsten war das Geräusch, mit dem der Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Als ihm das

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