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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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niedrigen Ast, der über den Bach ragte, hockte ein Rabe, der wegen der Kälte das Gefieder aufgeplustert hatte. Als er Jon entdeckte, breitete er die Flügel aus und stieß einen Schrei aus. Dieser hob daraufhin eine Faust und pfiff. Der große schwarze Vogel flatterte herunter und krächzte: » Korn, Korn, Korn.«
    » Korn für das Freie Volk«, erklärte ihm Jon. »Nicht für dich.« Er fragte sich, ob sie am Ende wohl Raben essen mussten, ehe der nahende Winter vorüber war.
    Die Brüder auf den Wagen hatten das Gesicht ebenfalls gesehen, daran hegte Jon keinen Zweifel. Niemand sprach darüber, aber jeder Mann mit Augen im Kopf würde die Botschaft verstehen. Jon hatte einmal gehört, wie Mance Rayder sagte, die meisten Knienden seien Schafe. »Ein einziger Hund kann eine Herde Schafe zusammenhalten«, hatte der König-jenseits-der-Mauer gesagt, »aber beim Freien Volk sind die einen Schattenkatzen und die anderen Steine. Die einen streifen herum, wo sie wollen, und reißen deine Hunde in Fetzen. Die anderen bewegen sich überhaupt nicht, wenn man ihnen keinen Tritt versetzt.« Weder Schattenkatzen noch Steine würden die Götter aufgeben, die sie ihr Leben lang angebetet hatten, um sich vor einem zu verbeugen, den sie kaum kannten.
    Ein Stück nördlich von Mole’s Town fanden sie einen dritten Beobachter, der in eine riesige Eiche am Rand des Ortes geschnitzt war, und den Blick auf den Kingsroad gerichtet hielt. Das ist kein freundliches Gesicht, dachte Jon Snow. Die Gesichter, die in uralten Zeiten von den Ersten Menschen oder den Kindern des Waldes in die Wehrholzbäume geschnitzt worden waren, hatten häufig ernste oder wilde Gesichter gehabt, doch die große Eiche sah richtig wütend aus, als wollte sie im nächsten Augenblick ihre Wurzeln aus der Erde zerren und brüllend hinter ihnen her stürmen. Die Wunden sind so frisch wie die Wunden der Männer, die das Gesicht geschnitzt haben.
    Mole’s Town war schon immer größer gewesen, als es auf den ersten Blick erschien. Der größte Teil war unterirdisch angelegt und so vor Kälte und Schnee geschützt. Jetzt stimmte das sogar noch mehr als sonst. Der Magnar von Thenn hatte das leere Dorf niedergebrannt, als er hier durchgezogen war, um Castle Black anzugreifen, und über der Erde waren nur Haufen verbrannter Balken und alter versengter Steine geblieben … unter dem gefrorenen Boden jedoch hatten die Gewölbe und Tunnel und tiefen Keller überdauert. Dort hatte das Freie Volk Zuflucht gesucht und drängte sich jetzt in der Dunkelheit zusammen wie die Maulwürfe, die dem Ort seinen Namen gegeben hatten.
    Die Wagen bildeten einen Halbkreis vor der vormaligen Dorfschmiede. Ganz in der Nähe baute eine Horde Kinder mit roten Gesichtern eine Schneeburg, doch beim Anblick der Brüder in schwarzen Mänteln liefen sie davon und verschwanden in diesem oder jenem Loch. Kurz darauf stiegen die Erwachsenen aus der Erde. Der Geruch von ungewaschenen Leibern und schmutziger Wäsche, von Kot und Urin begleitete sie. Jon sah, wie einer seiner Männer die Nase rümpfte und etwas zu dem Mann neben sich sagte. Ein Scherz über den Geruch der Freiheit , vermutete er . Zu viele seiner Brüder machten Scherze über den Gestank der Wilden in Mole’s Town.
    Die Ignoranz von Schweinen, dachte Jon. Das Freie Volk unterschied sich nicht von den Männern der Nachtwache, manche waren sauber, manche dreckig, aber die meisten waren manchmal sauber und manchmal schmutzig. Dieser Gestank rührte einfach davon her, dass sich tausend Menschen in Kellern und Tunneln drängten, die für höchstens hundert gegraben worden waren.
    Die Wildlinge kannten diesen Tanz bereits. Wortlos bildeten sie Reihen hinter den Wagen. Auf drei Frauen kam ein Mann, dazu gab es viele Kinder, blasse dünne Dinger, die an den Röcken ihrer Mütter hingen. Jon sah nur wenige Säuglinge. Die Säuglinge sind auf dem Marsch gestorben, erkannte er, und diejenigen, die die Schlacht überlebten, sind im Pferch des Königs umgekommen.
    Den Kämpfern war es besser ergangen. Dreihundert Mann im kampffähigen Alter, hatte Justin Massie im Rat behauptet. Lord Harwood Fell hatte sie gezählt. Es gibt auch Speerfrauen. Fünfzig, sechzig, vielleicht sogar hundert. Fells Zählung hatte Männer eingeschlossen, die verwundet waren, das wusste Jon. Ungefähr zwanzig von denen sah er jetzt; Männer auf einfachen Krücken, Männer mit leeren Ärmeln, Männer, denen Hände fehlten, Männer mit nur einem Auge oder mit halbem Gesicht.

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