09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
Geschworenen Brüder, durch die Hand von Männern, denen er vertraute. Weder Ihr noch ich könnt wissen, was er jetzt an meiner Stelle getan hätte oder nicht.« Jon wendete sein Pferd. »Genug geredet. Los jetzt.«
Der Schwermütige Edd hatte das Gespräch mit angehört. Während Bowen Marsh davonging, deutete er mit dem Kopf auf seinen Rücken und sagte: »Granatäpfel. Diese vielen Kerne. Daran könnte man glatt ersticken. Mir sind Rüben lieber. Habe noch keine Rübe gesehen, die einem Mann irgendetwas zuleide getan hätte.«
In Augenblicken wie diesen vermisste Jon Maester Aemon am meisten. Clydas versorgte die Raben anständig, aber er verfügte nicht über ein Zehntel des Wissens und der Erfahrung Aemon Targaryens, von seiner Weisheit ganz zu schweigen. Bowen war auf seine Weise ebenfalls ein guter Mann, doch die Wunde, die er an der Schädelbrücke erlitten hatte, hatte ihn in seinen Ansichten bestärkt, und das einzige Lied, das er jetzt noch sang, war sein bekannter Kehrreim, die Tore zu versiegeln. Othell Yarwyck war so stumpfsinnig und einfallslos wie er wortkarg war, und die Ersten Grenzer schienen fast schneller zu sterben, als sie ernannt wurden. Die Nachtwache hat zu viele ihrer besten Männer verloren, dachte Jon, während sich die Wagen in Bewegung setzten. Den Alten Bär, Qhorin Halbhand, Donal Noye, Jarman Buckwell, meinen Onkel …
Leichter Schneefall setzte ein, als die Kolonne über den Kingsroad nach Süden zog, eine lange Reihe von Wagen, die sich an Feldern und Bächen und bewaldeten Hügeln vorbeischlängelte, begleitet von einer berittenen Eskorte aus einem Dutzend Speerträger und einem Dutzend Bogenschützen. Bei den letzten Besuchen hatte es in Mole’s Town etwas Ärger gegeben, ein bisschen Schieben und Drängeln, ein paar gemurmelte Flüche und jede Menge mürrische Blicke. Bowen Marsh hatte es für das Beste gehalten, kein Risiko einzugehen, und dies eine Mal waren Jon und er gleicher Meinung.
Der Lord Verwalter führte die Kolonne an. Jon ritt einige Schritte hinter ihm, der Schwermütige Edd an seiner Seite. Eine halbe Meile südlich den Schwarzen Festung drängte Edd sein kleines Pferd dicht an Jons und sagte: »M’lord? Seht nur dort oben. Der große Säufer auf dem Berg.«
Der Säufer war eine Esche, die im Laufe der Jahrhunderte vom Wind zur Seite gebogen worden war. Jetzt hatte sie ein Gesicht. Einen ernsten Mund, einen abgebrochenen Ast als Nase und zwei tief eingeschnitzte Augen im Stamm, die den Kingsroad hinauf nach Norden schauten, in Richtung Burg und Mauer.
Die Wildlinge haben ihre Götter also doch mitgebracht. Das überraschte Jon nicht. Die Menschen gaben ihre Götter nicht so leicht auf. Das ganze Schauspiel, das Lady Melisandre jenseits der Mauer aufgeführt hatte, erschien ihm plötzlich als hohler Mummenschanz. »Sieht dir ein bisschen ähnlich, Edd«, sagte er, um seinen Begleiter aufzumuntern.
»Ja, M’lord. Mir wachsen bloß keine Blätter aus der Nase, aber ansonsten … Lady Melisandre wird sich nicht drüber freuen.«
»Vermutlich bekommt sie den Baum niemals zu Gesicht. Sorge dafür, dass es ihr niemand erzählt.«
»Sie sieht aber Dinge in diesen Feuern.«
»Rauch und Glut.«
»Und Menschen, die verbrennen. Höchstwahrscheinlich mich. Mit Blättern in der Nase. Ich habe immer Angst gehabt, dass ich verbrennen könnte, hab aber immer gehofft, vorher zu sterben.«
Jon sah zurück zu dem Gesicht und fragte sich, wer es geschnitzt hatte. Um Mole’s Town herum hatte er Wachen aufgestellt, und auf diese Weise wollte er einerseits seine Krähen von den Wildlingsfrauen fernhalten und andererseits das Freie Volk an Beutezügen in den Süden hindern. Wer auch immer das Gesicht in die Esche geschnitzt hatte, war seinen Wächtern offensichtlich entgangen. Und wenn das einem Mann gelang, konnten es auch mehrere schaffen. Ich könnte die Wache noch einmal verdoppeln, dachte er säuerlich. Damit würde ich zweimal so viele Männer verschwenden, die eigentlich auf der Mauer Dienst tun sollten.
Die Wagen setzten die langsame Fahrt nach Süden durch gefrorenen Schlamm und Schneetreiben fort. Eine Meile weiter sahen sie ein zweites Gesicht in einem Kastanienbaum, der neben einem eisigen Bach wuchs, und hier beobachteten die Augen eine alte Holzbrücke, die sich über das Wasser spannte. »Doppelt so viel Ärger«, verkündete der Schwermütige Edd.
Die Kastanie trug kein Laub und stand kahl da, doch ihre nackten braunen Äste waren nicht leer. Auf einem
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