09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
Stadt gut zu kennen.«
»Ich habe fast ein Jahr hier verbracht.« Der Ritter trank seinen Krug leer. »Als Stark mich ins Exil gezwungen hat, floh ich mit meiner zweiten Frau nach Lys. Braavos hätte mir besser gefallen, aber Lynesse wollte an einen warmen Ort. Anstatt den Braavosi zu dienen, kämpfte ich an der Rhoyne gegen sie, aber für jedes Silberstück, das ich verdiente, gab meine Gemahlin zehn aus. Als ich nach Lys zurückkam, hatte sie sich einen Geliebten genommen, der mir fröhlich erklärte, ich würde wegen meiner Schulden als Sklave verkauft, es sei denn, ich gäbe meine Frau frei und verließe die Stadt. So kam ich nach Volantis … der Sklaverei gerade so entkommen, mit nichts anderem als meinem Schwert und den Kleidern auf dem Leib.«
»Und jetzt wollt Ihr nach Hause fliehen.«
Der Ritter leerte seinen Krug. »Morgen suche ich uns ein Schiff. Das Bett gehört mir. Ihr dürft euch ein Stück Boden aussuchen. Jedenfalls, so weit es die Ketten zulassen. Schlaft, wenn Ihr könnt. Wenn nicht, zählt Eure Verbrechen. Da solltet Ihr bis zum Morgen genug zu tun haben.«
Ihr habt Euch ebenfalls für Verbrechen zu rechtfertigen, Jorah Mormont, dachte der Zwerg, aber es schien ihm weiser, diesen Gedanken für sich zu behalten.
Ser Jorah hängte den Schwertgurt an einen Bettpfosten, zog sich die Stiefel aus, streifte sich das Kettenhemd über den Kopf und legte Wolle und Leder und das schweißbefleckte Unterhemd ab. Darunter kam ein muskulöser Körper zum Vorschein, der mit Narben und dunklem Haar bedeckt war. Wenn ich ihn häuten könnte, könnte ich dieses Fell als Pelzmantel verkaufen, dachte Tyrion, als Mormont sich in das riechende, durchhängende Bett begab.
Kurze Zeit später schnarchte der Ritter, sein Gefangener blieb allein mit seinen Ketten. Da beide Fenster offen standen, fiel das Licht des abnehmenden Mondes in die Kammer. Vom Platz unten hallte der Lärm herauf, Fetzen eines Lieds von Betrunkenen, das Geheul einer rolligen Katze, und das ferne Klirren von Stahl auf Stahl. Bald wird jemand sterben, dachte Tyrion.
Sein Handgelenk pochte, wo er sich die Haut aufgerissen hatte, und die Ketten machten es ihm unmöglich zu sitzen, geschweige denn sich auszustrecken. Bestenfalls konnte er sich seitlich drehen und an die Wand lehnen, doch kurze Zeit später hatte er schon kein Gefühl mehr in den Händen. Als er sich bewegte, um die Spannung zu vermindern, kam das Gefühl als schmerzhaftes Kribbeln zurück. Er musste die Zähne zusammenbeißen, damit er nicht schrie. Er fragte sich, wie sehr es seinem Vater wohl wehgetan hatte, als der Bolzen seine Eingeweide durchbohrt hatte? Was hatte Shae gefühlt, als er die Kette um ihre lügnerische Kehle zuzog, was hatte Tysha gefühlt, als sie vergewaltigt wurde? Sein Leiden war nichts im Vergleich zu dem ihren, aber dadurch empfand er den Schmerz nicht weniger stark. Wenn es nur aufhören würde.
Ser Jorah hatte sich auf die Seite gedreht, und Tyrion sah nur seinen haarigen breiten, muskulösen Rücken. Selbst wenn ich mich aus den Fesseln befreien könnte, müsste ich über ihn steigen, um an den Schwertgurt zu kommen. Wenn ich vielleicht den Dolch holen könnte … Er könnte auch versuchen, sich den Schlüssel zu holen, die Treppen hinunter und durch den Gastraum schleichen … U nd dann wohin? Ich habe keine Freunde, keine Münzen, und ich beherrsche nicht einmal die hiesige Sprache.
Erschöpfung überwand schließlich die Schmerzen, und Tyrion verfiel in unruhigen Schlaf. Aber jedes Mal, wenn er wieder einen Krampf in der Wade bekam und sich verdrehen musste, schrie er im Schlaf auf und zitterte in den Ketten. Beim Aufwachen taten ihm alle Muskeln weh, und der Morgen strömte hell und golden wie der Lannister-Löwe durchs Fenster herein. Von unten hörte er die Rufe der Fischhändler und das Rumpeln der eisenbeschlagenen Räder auf dem Steinpflaster.
Jorah Mormont stand über ihm. »Wenn ich Euch den Ring abnehme, werdet Ihr dann tun, was ich Euch sage?«
»Muss ich tanzen? Tanzen finde ich schwierig. Ich spüre meine Beine gar nicht. Vielleicht sind sie ja abgefallen. Ansonsten gehöre ich ganz Euch. Bei meiner Ehre als Lannister.«
»Die Lannisters haben keine Ehre.« Ser Jorah löste seine Ketten dennoch. Tyrion machte zwei wacklige Schritte und stürzte. Das Blut schoss ihm zurück in die Hände und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er biss sich auf die Lippe. »Wohin auch immer Ihr gehen wollt, mich müsst Ihr wohl dorthin
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