09-Die Pfade des Schicksals
fliehen. Deshalb muss ich euch folgen. Ihr, die nicht genannt werden darf, kann ich nicht nochmals gegenübertreten.« Im nächsten Augenblick fügte er hinzu: »Wenn die Lady nur die Luft reinigen könnte …«
Linden schluckte ihren Widerwillen gegen den eigenen Körper - die eigene Existenz - hinunter und wischte Staub beiseite, brannte Stagnation weg. Dann umgab sie sich selbst mit Theurgie, bis sie einer Flammensäule glich. Wieder leise wimmernd versuchte sie, Spinnen und Tausendfüßler von ihrem Leib zu vertreiben.
Mehr konnte sie nicht tun.
Vor und hinter ihr machten die Schwertmainnir sich an den Aufstieg, kämpften in dem losen Geröll um festen Halt. Graubrand arbeitete sich mühsam nach oben vor. Über den Riesinnen kläfften die Wegwahrer aufmunternd oder zu größerer Eile mahnend. Hinter der Masse der Gesellschaft beeilten die Urbösen sich, den Aufstieg zu bewältigen.
Lichter versuchten, den Raum zu füllen: ganz vorn Liands Sonnenstein, dann Loriks Krill, Lindens persönliches Feuer, das düstere Glosen des Eisenspießes des Lehrenkundigen. Aber sie waren zu schwach, um das Dunkel zurückzudrängen. Mitternacht und riesige Felsmassen engten sie ein, drohten sie zu erdrücken. Innerhalb des Spalts schien der Boden endlos anzusteigen, als strebten hier Geröll und Feuchtigkeit und abgestandene Luft einem unerreichbaren Himmel zu.
Linden klammerte sich an ihre Sorge um den Eifrigen, bis sie Andeutungen seiner Gegenwart spürte, die den Riesinnen und den Urbösen folgten. Er war tatsächlich zu erschöpft, zu verausgabt, um Schrecken zu empfinden. Trotzdem stützte er sich weiter auf seine Bänder, die in Ritzen und an kleinen Felsvorsprüngen Halt fanden. Irgendein Rest von Angst oder Entschlossenheit trieb ihn weiter voran.
Sobald Linden sich seiner gewiss war, konzentrierte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich selbst und bemühte sich, nicht laut zu jammern. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um den Abscheu zu verdrängen, den die krabbelnden Insekten bei ihr erzeugten. Hinter ihr drang das Übel durch den Bergsturz: mit einem Ausbruch, der die Luft verpestete und die Wände erzittern ließ. Vor der Gesellschaft schien der natürliche Korridor in unvorstellbare Höhen anzusteigen. Aber von solchen Dingen wollte sie nichts wissen. In Flammen gehüllt und vor sich hin singend, damit sie nicht stöhnte oder wimmerte, kämpfte sie gegen das Gefühl an, gekniffen und gebissen zu werden - gegen Verführungen zur Verzweiflung.
Aber Linden kam nicht dagegen an. Im Grunde ihres Herzens lauerte die Überzeugung, sie habe dies alles verdient. Das Übel hatte recht. Sie hatte ihre Mutter getötet und ihren Sohn im Stich gelassen. Nun konnte sie nur noch darauf warten, verschlungen zu werden.
Allmählich wurde Linden jedoch von der segensreichen Wirkung von Erdkraft durchdrungen. Angedeutete Fehlreaktionen wichen aus ihren Nerven. Der Kern ihrer Verzweiflung blieb unangetastet; unheilbar. Der Gebrauch ihres Stabes brachte ihr jedoch eine gewisse oberflächliche Erlösung.
Zögernd begann sie wieder, ihre Umgebung wahrzunehmen.
Jetzt hörte sie Graubrands tief in ihrer Brust keuchenden erschöpften Atem; fühlte Graubrands Muskeln zittern. Vor ihnen stieg die Eisenhand, die Jeremiah und den Croyel und den Krill trug, stoisch weiter; aber ihr Schritt war zu einem grimmigen Stapfen geworden. Zwischen Raureif Kaltgischt und Onyx Steinmangold - zwischen dem Schmuckstein des Krill und Liands Orkrest - torkelte Gutwind wie eine Frau, die sich nie ganz von ihrer schweren Verletzung erholt hatte. Trotzdem kämpfte sie sich mit Covenant auf dem Arm von Wand zu Wand taumelnd immer höher.
Der Boden unter den Füßen der Riesinnen hätte sie vielleicht überhaupt nicht getragen, wären Schiefer und Geröll nicht feucht, durch das unaufhörlich aus den Wänden rieselnde Wasser verdichtet gewesen.
Andererseits stiefelte Esmer wie mühelos hinter Gutwind her. Der Aufstieg schien ihm nicht das Geringste auszumachen. Stave hielt mit Graubrand Schritt, als wäre er gegen Erschöpfung immun. Und die Gedemütigten umgaben Gutwind und Covenant, als könnte nichts und niemand sie aufhalten.
Hinter Linden kamen nacheinander die übrigen Schwertmainnir: Sturmvorbei Böen-Ende mit Anele auf dem Arm, Rahnock, die Pahni trug, Rüstig Grobfaust mit Bhapa, Spätgeborene mit Mahrtür. Danach folgte schwer gezeichnet und erschöpft die schwarze Horde der Urbösen. Über ihnen bewegte der Eifrige sich die Wände entlang. Weil er
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