09-Die Pfade des Schicksals
widersprach Esmer. Seine Augen schwammen in Blut, das Rinnsale von Scham auf seinen Wangen bildete. »Sie macht sich nichts aus solchen Theurgien.
Ihr werdet in der Tat verraten, aber nicht von mir.«
Das Übel stieß plötzlich einen lauten Triumphschrei aus. Ein letztes Aufbäumen, dann schnappten mahlende Kiefer Elenas Stimme aus der Luft.
Elena!
Covenant warf sich herum, aber Riesinnen nahmen ihm die Sicht. So sah er nicht, wie seine verlorene Tochter von den vielen Mündern von Ihr, die nicht genannt werden darf, verschlungen wurde. Er sah nur die turmhoch aufragende Wildheit des Übels, als es Elena verschlang …
… die keine Vergebung gefunden hatte.
Dies war seine Schuld, seine. Nicht von mir. Von wem also sonst? Covenant fiel außer ihm selbst niemand ein. Wer sonst hatte Linden und ihre Gefährten oder auch Elena so schlimm im Stich gelassen, dass man dieses Versagen Verrat nennen musste?
Er drehte sich wieder grimmig nach Esmer um. Wütend und kummervoll knurrte er: »Ja, natürlich. Sie ist sich selbst genug. Das verstehe ich. Sie will meinen Ring, weil er ein Ehering ist. Weißgold ist ihr egal. Auch wilde Magie kann sie nicht unsterblicher machen.
Aber der Ring wird alle ihre Opfer zu Ungeheuern machen.« Er war das Symbol und Werkzeug von allem, was sie je begehrt hatten; von allem, das ihnen geraubt worden war. »Dann werden sie endlos morden können. Sie werden nicht mal auf die Schlange warten müssen. Teufel, sie werden die Schlange gar nicht brauchen. Und sie fangen vermutlich mit Kastenessen an, nur weil er sie benutzt. Aber das ist noch längst nicht das Ende.
Damit endet alles, und daran bist du schuld!
Das kannst du nicht wollen. Nicht wenn du noch Cails Sohn bist.«
Fast als wäre ihm das nachträglich eingefallen, fügte er hinzu: »Lässt du uns jetzt laufen, kannst du uns jederzeit wieder erwischen. Gefällt das Kastenessen nicht, kannst du ihm erklären, dass du ihm das Leben gerettet hast.«
Münder und Zähne und Flammen rückten von Neuem gegen das Felsband vor. Esmers Kummer war so lebhaft wie die Gier des Ungeheuers.
»Ich gedenke meines Vaters.«
»Dann tu etwas, um das zu beweisen. Lass sie meinen Ring nicht bekommen.«
Einen Augenblick lang schien Esmer zu zögern, mit sich selbst zu kämpfen. Stürme wühlten das Blut in seinen Augen auf. Winde und Kreischen zerzausten sein Haar, zerrten an seinem zerrissenen Umhang, quälten sein verwundetes Fleisch. Völlig überraschend wurde die Gesellschaft von Hagelschlossen wie von Steinschlag bombardiert.
Dann hüllte er sich in ein Nichts und verschwand.
Der hämische Jubel des Übels war laut genug, um die Welt ertauben zu lassen. Hungrige Begierde und Zorn schwappten über das Felsband. Covenant hatte keine Zeit mehr, die Dämondim-Abkömmlinge flüchten, um ihr Leben rennen zu sehen, wobei sie Zauberformeln blafften, die sie unsichtbar machen sollten.
Aber Esmer war fort.
Als hätte er sein ganzes Leben lang auf diesen einen Augenblick gewartet, schlang der Eifrige seine Bänder um die Gesellschaft und entführte sie alle ins Dunkel.
Zweiter Teil
»Nur die Verdammten«
1
Die Leidenden
T homas Covenant, der Linden an sich gedrückt hielt, lehnte sitzend an einem Felsblock, der halb im Sandboden einer flachen Senke vergraben war. Das Gelände um sie herum war überwiegend kahl, durch Dürre und uralten Missbrauch bar jeglicher Vegetation. Aber ein paar verkümmerte Bäume, verdreht wie Krüppel, hielten sich noch am Rand der Senke. Hier und da klammerten sich Grasbüschel mit schlanken, spitzen Halmen an feuchte Stellen. Er hoffte auf Aliantha, hatte aber bisher noch keine gesehen.
Sein Kopf dröhnte noch vom Kreischen und Flammen und dem Tosen von Wassermassen; sein Herz war von Kummer schwer. Jedes Mal wenn er in Lindens schlaffes Gesicht blickte, sah er Elenas unverfälschtes Entsetzen, als sie von Ihr, die nicht genannt werden darf, verfolgt wurde. Er wusste nicht, wie er um seine Tochter trauern sollte.
Im Osten ging über dem Rand der Senke die Sonne auf. Sobald sie höher stieg, würde er seinen Platz wechseln, in den Schatten des Felsblocks umziehen müssen. Aber sein sandiges Fleckchen würde noch eine Zeit lang im Schatten liegen. Also blieb er vorläufig, wo er war, und streichelte weiter sanft Lindens Haar.
Es war schmutzig, von Schweiß und Fett und Staub klebrig. Sie hatte zu viel durchgemacht… und in ihrem jetzigen Zustand war sie außerstande, für sich selbst zu sorgen. Aber der
Weitere Kostenlose Bücher