09-Die Pfade des Schicksals
schreckliches Ende. Hast du jedoch Erfolg …«Er schien über die möglichen Konsequenzen nachzudenken. »… weiß niemand, was aus den Klauen des Croyels hervorgehen wird. In Bezug auf diesen Punkt ähnelt meine Einstellung der des Zweiflers. Auch mir geht es darum, dir zu versichern, dass ich an deiner Seite stehe, um dich vor drohenden Gefahren zu warnen.«
»Also gut«, murmelte Linden. Obwohl der Anstieg, den Galt gewählt hatte, unschwierig war, atmete sie schwerer als nötig. »Der Eifrige hat also geglaubt, dass einer von uns einen Todeswunsch hat. Oder sich Tod wünscht. Oder wünschen wird. Na und? Ist das überraschend? Die Schlange des Weltendes kommt. Da geht es überall um Tod.«
Ihr Vater hatte vor ihren Augen Selbstmord begangen. Das Leben ihrer Mutter hatte sie selbst beendet. Dass sie Ärztin geworden war, hatte als Versuch begonnen, das Vermächtnis ihrer Eltern auszutilgen. Wandte sie sich jetzt von Jeremiah ab, blieben ihr nichts als Warnungen und Untergangsprophezeiungen.
Staves einzige Antwort bestand aus einem nachdrücklichen Nicken, als stünde er bedingungslos hinter ihr.
Jetzt habe ich Angst um dich. Das erschreckte Linden. Die Schlichtheit dieser Aussage ließ sie erst recht bedrohlich klingen. Aber in ihrem früheren Leben hatte sie unzählige Krisen meistern müssen; sie wusste, wie gefährlich es war, in Panik zu verfallen. Seit damals hatte sie sich so verändert, dass die Ärztin Linden Avery nicht mehr zu existieren schien. Aber als sie jetzt mit unbestimmter Angst den Hügel hinaufstapfte, spürte sie alte Reflexe zu neuem Leben erwachen. Ihr Gespür für drohende Gefahren löste Reaktionen aus, die so eingeübt waren, dass sie fast automatisch abliefen. Allmählich beruhigten sich ihre Nerven. Mit jedem Schritt verlor sie etwas von ihrer Angst und begann wieder leichter zu atmen.
Du kannst es schaffen, versicherte Linden sich. Wenn sie nicht in Panik geriet. Und sie war nicht allein. Natürlich wurde sie von einigen ihrer Freunde begleitet, aber an die dachte sie jetzt nicht. Nein, was Jeremiahs Besessenheit anging, stand das Land selbst hinter ihr. Seine Gaben waren ihre Helfer, ihr Operationsteam: Lindens Gesundheitssinn, der Stab des Gesetzes, Loriks Krill, sogar wilde Magie. Inmitten einer Landschaft, die einstige Kämpfe und Blutvergießen verwüstet und trocken zurückgelassen hatten, waren Jeremiah und sie an einem Ort unterwegs, an dem Gesundheit und Selbstbestimmung und sogar Vernunft sein Geburtsrecht waren.
Außerdem konnte sie mit weiterer unverlangter Hilfe rechnen. Liand, den Pahni mit untrüglichem Instinkt geweckt hatte oder der allein aufgewacht war, folgte Covenant und Mahrtür. Mit einer Hand hielt der Steinhausener seinen Orkrest hoch, so dass er die Nacht wie künstlicher Sonnenschein erhellte: eine wundervolle kleine Erscheinung, menschlich und vergänglich. Sein Licht überstrahlte bereits das kalte Glitzern der Sterne.
Linden hätte ihn am liebsten weggeschickt. Sie wollte ihn schonen. Um Jeremiahs willen tat sie es nicht.
Mehr Freunde. Mehr Unterstützung. Mehr Erdkraft.
Hier, vielleicht sonst nirgends im Land, konnte sie schaffen, was sie sich vorgenommen hatte. Wenn sie vorsichtig war.
Ihr Herzschlag war kraftvoll - deutlich spürbar, aber nicht ängstlich -, als Stave und sie den Grat einige Schritte nach Galt und Jeremiah erreichten und auf einem Hügelkamm haltmachten, der sich einem verkrümmten Rückgrat gleich vom Landbruch ausgehend nach Südosten schlängelte.
Der Hügelkamm war ein exponiertes Band aus Gips, das sich in fahlem Weiß von dem dunkleren Gelände abhob: als blasser Pfad nach Südosten. Um Linden herum ließ kalt glitzernder Sternenschein die Konturen der Landschaft erahnen. Nach Süden hin waren die Hügel auf einer Seite höher als auf der anderen. Sie wurden allmählich niedriger, während sie zu den Tümpeln und Sümpfen der Sarangrave-Ebene hin abfielen.
Von ihrem erhöhten Standort aus schien sie auch bei Nacht meilenweit sehen zu können; trotzdem entdeckte sie kein Anzeichen der Sarangrave selbst. Dieses gefährliche Gebiet lag hinter weiteren Hügeln oder war für ihre Sinne einfach noch zu weit entfernt. Die über die von der Sonne verbrannten Hügel wehende Brise war kühl, fast kalt und etwas feucht; sie trug jedoch nichts von dem wuchernden und verrottenden grünen Wildwuchs der Sarangrave oder der gefährlichen Gier ihres Lauerers mit sich.
Clyme, der sich schwarz von den sanfteren Farbtönen von
Weitere Kostenlose Bücher