09-Die Pfade des Schicksals
stärker wurde; dass ihr Feuer sich nie eindämmen lassen wollte. Inzwischen kannte sie diese Gefahren aus eigener Anschauung.
Aber sie war nicht nur Linden Avery die Auserwählte. Sie war weiß Gott die Sonnenkundige! Ihr durch nichts behinderter Gesundheitssinn ermöglichte ihr Empfindungen und Urteile, zu denen selbst Thomas Covenant nicht imstande gewesen wäre. Wirkliches Chaos brauchte sie nicht zu befürchten - schließlich gehörte der Ring nicht ihr. Und das Blut in ihren Adern war Zorn. Er hatte alle sonstigen Gefühlsregungen ihres Lebens ersetzt.
Um Jeremiahs willen brachte Linden einen Grad von Beherrschung auf, der die Fähigkeiten jedes rechtmäßigen Weißgoldträgers vermutlich übertroffen hätte.
Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln schmiedete sie eine silberne Klinge, die das Gehirn des Croyels durchstoßen sollte, ohne das Gräberfeld von Jeremiahs Bewusstsein zu verwüsten.
Als die Waffe fertig war, trat sie dichter an ihren Sohn heran. Indem sie das Rennauto hochhielt, damit Jeremiah es sehen konnte - damit es als Anker oder Eckstein für seine begrabenen Gedanken dienen konnte -, zielte sie mit wilder Magie wie mit einem zugespitzten Schrei mitten ins Gesicht des Ungeheuers.
Gleichzeitig entsandte sie jedoch Wahrnehmungsvermögen wie Ranken aus dringenden Bitten und Zärtlichkeit in Jeremiahs Verstand. Diesmal drang sie weniger tief ein; ergriff nicht ganz von ihm Besitz. Stattdessen streckte sie ihre Sinne nur weit genug aus, um seinen Zustand beurteilen zu können, während sie den Croyel bedrohte.
Starr vor Anstrengung keuchte sie mit zusammengebissenen Zähnen: »Mit dir ist es aus, du Dreckskerl! Ich mache Schluss mit dir. Lass ihn frei oder stirb! Pardon wird nicht…!«
Der Blick des Monsters ließ sie verstummen. Seine gelben Augen flackerten angstvoll. Übler Schweiß, der wie die Ausdünstungen eines Schlachthauses stank, glänzte auf seiner haarlosen Haut. Einen Augenblick lang glaubte Linden, sie könnte Erfolg haben. Der Croyel verstand doch sicher, dass sie ihn unbarmherzig töten würde? Er würde doch bestimmt weiterleben wollen?
Dann merkte sie jedoch, dass der starre Blick der Bestie nicht sie, sondern Liand fixierte.
Der Croyel fürchtete ihn noch immer mehr, als er Linden fürchtete. Das hatte er von Anfang an getan.
Einen Herzschlag später heulte Jeremiah schmerzlich auf. In seinem Inneren begannen von allen Seiten Kräfte sein vergrabenes Bewusstsein heimzusuchen. Grelle Energieblitze trafen Dutzende, Hunderte von Gräbern gleichzeitig. Brodelnde Erde umgab Aspekte seiner selbst, als sie sich auf die Füße schlängelten. Aber diesmal klangen die Blitzstrahlen nicht ab, sobald er auf den Beinen war. Nein, dieses Mal dauerten sie an … Sie verbrannten und verbrannten ihn, bis jeder auferstandene Avatar wimmernd zu Asche geworden und damit wirklich tot war.
Der Croyel grub Momente aus Jeremiahs Verstand nicht nur aus, sondern vernichtete sie gänzlich. Dutzende oder Hunderte seiner verborgenen Gedanken waren schon verglüht.
Wie viele davon konnte das Ungeheuer zerstören, bevor Linden es vernichtete? Tausende? Zehntausende? Hunderttausende? Dann würde der Verstand ihres Sohns gelähmt bleiben. Diese Schäden würden endgültig sein.
Vor Wut und Entsetzen hätte Linden den Schädel des Croyels am liebsten mit wilder Magie durchbohrt. Damit hätte sie Jeremiahs Qualen fast augenblicklich beenden können. Sie würde tausend Stücke von ihm verlieren, zehntausend oder hunderttausend. Aber das Gräberfeld war riesig; fast endlos. Wie jeder Verstand. Ein geschickt stimuliertes Gehirn konnte erstaunliche Schäden überwinden. Aus ihrem früheren Leben kannte sie einige solcher Fälle. Und dort hatte sie ohne die Heilkraft ihres Stabs auskommen müssen …
Trotzdem zwang sie sich dazu, nicht weiterzumachen. Wich einen Schritt zurück. Ließ das Feuer von Covenants Ring erlöschen, so schnell sie konnte. Riss sich den Reif vom Finger; stopfte Ring und Rennwagen so tief wie möglich in ihre Jeanstaschen.
Nahm ihre Drohung zurück.
Denn der Croyel…
Sie zitterte am ganzen Leib, bis sie das Blitzgewitter in Jeremiahs Innerem abklingen spürte. … fürchtete Liand mehr als sie. Liand und den Orkrest.
Covenant rief ihren Namen. Wie lange versuchte er schon, ihre Aufmerksamkeit zu erregen? Das wusste sie nicht. Sie weinte wieder, konnte gar nicht mehr aufhören. Höllenfeuer, Linden!, rief er vielleicht. So geht es nicht! Dafür ist wilde Magie nicht
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