09-Die Pfade des Schicksals
ebenso groß ist wie meine Trauer um ihn?«
Darauf wusste Linden keine andere Antwort als die Kraft ihres Stabs. Sie hatte auf dem Galgenbühl gestanden, war zu einer Inkarnation dieses Hügels geworden: unfruchtbar und bitter. Sie hatte sich Elena in Andelain verweigert und war der nicht wiedergutzumachenden Wildheit und dem Leid von Ihr, die nicht genannt werden darf, erlegen. Ihre einzige Antwort waren schwarze Flammen.
Linden verfolgte, wie seine Wunden sich schlossen, als sie sich um sie kümmerte, und achtete darauf, keine verborgenen Schäden, keinen Infektionsherd zu übersehen. Gleichzeitig brannte sie auch Blut und Schmutz von seiner Haut und versuchte zu glauben, damit genug getan zu haben.
Als sie fertig war, wandte sie sich wie weinend ab, obwohl ihre Augen trocken, so tränenlos wie die sie umgebende Landschaft war.
Jetzt sah sie, warum Mahrtiir nicht schon gegangen war. Trotz seines geschwächten Zustands versuchte er, der Eisenhand zu helfen. Im Vergleich zu ihrer glich seine restliche Kraft der eines Kindes. Trotzdem räumte er kleinere Steine weg, um ihr die Arbeit zu erleichtern, stabilisierte Felsblöcke, die sie heben wollte, und richtete Aneles Gliedmaßen aus, bevor sie mit Felsen bedeckt wurden.
Raureif Kaltgischt war nicht mehr allein.
Während Linden zusah, ohne eine Hand rühren zu können, erhob Stave sich mit Galt auf den Armen. Er stapfte schweigend zu Kaltgischt und Mahrtiir hinüber, legte seinen Sohn neben Anele ab und begann dann ebenfalls, der Eisenhand zu helfen. Mit der für Haruchai typischen Hartnäckigkeit und Sturheit trug er seinen Teil zu dem neuen Grabhügel bei.
Verdammt noch mal!, dachte Linden. Zum Teufel mit ihnen. Sie hatten Besseres verdient. Die Schlange des Weltendes war hierher unterwegs. Sie würde sie alle verschlingen. Trotzdem bestanden sie darauf, sich selbst treu zu bleiben.
Voller Bedauern für ihre Freunde zwang Linden Avery sich dazu, sich der Herausforderung der Gedemütigten zu stellen.
Clyme und Branl standen wie bröckelnde Denkmäler da. Als Linden sich ihnen zuwandte, behauptete Clyme mit Grabesstimme: »Wir brauchen deine Hilfe nicht.« Er war einem Zusammenbruch, seinem Tod, dem Weltuntergang nahe, aber weder Branl noch er wirkten im Geringsten ängstlich.
Ihre offensichtlichen Schmerzen brachten Linden gegen sie auf. »Ja, ich weiß«, antwortete sie scharf. »Ihr wärt lieber tot. Dann brauchtet ihr keine weiteren Widersprüche aufzulösen. Aber Covenant braucht euch, also haltet gefälligst die Klappe. Entzieht euch mir oder lasst mich arbeiten.«
Keiner der beiden erhob eine Hand gegen sie, als Linden sie mit Flammen erfüllte, als wären Erdkraft und Gesetz ihr einziges Ventil für Zorn und Scham, die Triebfedern ihrer Verzweiflung.
Als Linden dann endlich zum Bach abstieg, folgten die Urbösen und Wegwahrer ihr: ein Zug aus rauen Wesen, die besser auf allen vieren laufen statt auf zwei Beinen gehen konnten. In der Verlorenen Tiefe waren zwei Drittel von ihnen umgekommen. Aber die meisten Wunden der Überlebenden waren schon geheilt, so groß war die Heilkraft ihres unheimlichen Lehrenwissens.
Vor Linden schritten Clyde und Branl aus, als wären sie nie verletzt gewesen, als hätten sie nie an sich selbst gezweifelt. Obwohl ihre zerfetzte Kleidung und die vielen frischen Narben ihre Selbstsicherheit Lügen straften, hielten sie den Kopf hoch und sahen sich wie unnachgiebige Männer um. Als die Gedemütigten sich dem Sandstreifen näherten, auf dem Covenant mit zunehmend finsterer Miene auf und ab marschierte, verbeugten sie sich, als hätte er ihre Rechtschaffenheit als Haruchai niemals kompromittiert. Dann trennten sie sich, um die nächsten Hügel zu besteigen und dort wieder über die Gesellschaft zu wachen.
Linden sah mit einem Blick, dass die Schwertmainnir gebadet und gegessen hatten. Ihre abgespülten Rüstungen trockneten in der Sonne, und die Riesinnen waren sichtbar stärker. Zwischen ihnen sitzend kaute Jeremiah nachdenklich auf einem Stück Trockenfleisch herum. In Abwesenheit seiner Mutter hatte Pahni oder Bhapa sich um ihn gekümmert. Trotzdem blieb sein trüber Blick leer, teilnahmslos, ein Wall gegen mögliche Verletzungen von außen.
»Linden …«, begann Covenant, dann verstummte er. Widerstreitende Gefühle schienen ihm die Stimme zu rauben. Seine Kiefermuskeln traten hervor, als er damit kämpfte, was er empfand, aber er sagte nichts außer ihrem Namen.
Ohne seinen zwiespältigen Blick zu erwidern, nickte
Weitere Kostenlose Bücher