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09 - Old Surehand III

09 - Old Surehand III

Titel: 09 - Old Surehand III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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so lange Zeit von Tag zu Tag vergeblich nach dem Horizont der weiten, unendlich scheinenden Ebene gejagt hat. Auf der Savanne flieht er fort und fort ins Weite, in die Endlosigkeit; das Auge bittet förmlich um einen festen Halt, doch ohne ihn zu finden; es ermüdet und blickt doch immer wieder sehnend auf – vergeblich, vergeblich! Der wie ein Halm im grenzenlosen Grasmeer sich fühlende Mensch wird zum Ahasver, der nach Ruhe schreit und doch keine findet. Da endlich tauchen nach langem Sehnen und Wünschen in der Ferne die grauen Schleier auf, hinter denen das Kanaan des Auges seine Berge gen Himmel streckt. Sie bildet nicht einen Horizont, welcher, unerbittlich zurückweichend, immer treulos flieht; nein, dieser Vorhang ist treu, hält Wort! Ja, er scheint nicht nur auf unser Nahen zu warten, sondern uns entgegenzukommen. Und je mehr wir uns ihm nähern, desto mehr gewinnt er an Durchsichtigkeit; oder er hebt sich allmählich höher und höher und läßt uns nach und nach die Herrlichkeiten sehen, viel schöner noch, als er sie uns von weitem schon versprochen hat. Nun gewinnt das Auge Halt und das Leben Farbe und Gestalt. Glich die Savanne einer keinen Anfang und kein Ende bietenden Tafel, auf welcher die große, erhabene Rune „Ich, der Herr, bin das Alpha und das Omega!“ zu lesen war, so steigen jetzt die in Stein erklingenden Hymnen von der Erde auf und jubilieren: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Berge verkündigen seiner Hände Werk; ein Tag sagt es dem andern, und eine Nacht tut es der andern kund!“ Und dieser steinerne Jubel ruft den Widerklang der Seele wach; es falten sich die Hände, und die Lippen öffnen sich zum Gebet: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Deine Weisheit hat sie geordnet, und die Erde ist voll von deiner Liebe und Güte!“
    So, grad so habe ich stets empfunden, wenn ich aus diesen Ebenen nach diesen Bergen kam. Tausende stiegen hinauf, mit tödlichen Waffen in den Händen, um schonungslos die Geschöpfe Gottes niederzumetzeln; Tausende stiegen und steigen noch heut hinauf, vom trügerischen Glanz des Goldes und des Silbers geblendet, um das ihnen von Gott geliehene Leben an den verderblichen Mammon zu wagen; wie viele waren unter ihnen, welche, wenn sie das Bibelwort kannten: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, auf denen mein Heil und meine Hilfe wohnt“, dabei an ihr wahres Heil und an den allein rechten Helfer dachten?
    Ich ritt auch heut hinter den Gefährten her, um nicht gestört zu sein, und ließ die Farben und Lichter, welche von oben glänzten, mir in die Seele leuchten; denn die Felsenberge sind reicher an Farben und zeigen erhabenere Lichter als jedes andere Gebirge der Erde. Es ist nicht die massig-stolze Erhabenheit der Alpen, nicht die epische der Pyrenäen und nicht die unnahbare, niederdrückende des Himalaja, sondern es ist eine Hoheit, welche zwar mit ernster Würde, doch mild lächelnd niederschaut. Wenn die alten Griechen ihren Göttern den Olymp zur Wohnung gaben, so hatte und hat der Indianer weit größere Berechtigung zu dem Glauben, daß auf diesen Bergen sein großer, guter Manitou wohne.
    Wir ritten heut noch lange nicht im Gebirge, sondern erst unten, zwischen den weit ausgreifenden Zehen der Bergesfüße dahin, und doch schon welche Herrlichkeit rings um uns her! Bei jeder Wendung ging ein neuer Vorhang auf und bot ein andres, schönes Bild. Es war ein unvergleichliches Wandelpanorama, nur wandelten wir, und Gottes Berge standen. Schon sandte uns der hohe Wald seine Ausläufer grüßend entgegen: „Willkommen! Mein Dom ist ein Tempel, von keines Menschen Hand gemacht!“ Das waren nicht die trüben, trägen Wasser der Savanne, welche uns klar und hell mit fleißigen Sprüngen ereilten und uns mahnend zuplätscherten: „Wie du da oben meine Quelle suchst, so strebe immer nach dem Urgrund aller Dinge!“ Und die Winde, welche uns bei jeder Biegung des Weges entgegenwehten und die Wangen kühlten, sie säuselten uns zu: „Du weißt nicht, von woher wir kommen und wohin wir gehen; uns leitet der Herrscher aller Dinge. So ist auch das Leben des Menschen; du kennst weder seinen Beginn noch seinen Verlauf; der Herr allein weiß es und leitet es!“
    Nicht wahr, lieber Leser, ich bin doch ein ganz übermäßig frommer Mensch? So wirst du vielleicht denken; aber du wirst dich da wohl irren. Übermäßig; Nein! Die wahre Frömmigkeit kennt kein Übermaß; sie kann überhaupt gar nicht gemessen werden. Ich bin ein stets

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