09 - Old Surehand III
gern seelenvergnügter, heiterer Gesell und weiß gar wohl, wem ich diese Heiterkeit verdanke. Du darfst es mir wirklich nicht übelnehmen, daß ich das, was ich drüben im wilden Westen dachte und fühlte, hier in der von der ‚Zivilisation‘ gebändigten Heimat niederschreibe. Was ich da drüben getan und erlebt habe, das waren doch Ergebnisse meiner Gedanken und Gefühle, und wenn ich dir die Folgen erzähle, darf ich doch die Ursachen nicht verschweigen! Überdies hat jeder Leser das Recht, seinem Autor in das Herz zu blicken, und dieser ist verpflichtet, es ihm stets offenzuhalten. So gebe ich dir das meine. Ist es dir recht, so soll mich's freuen; magst du es nicht, so wird es dir dennoch stets geöffnet bleiben. Soll ein Buch seinen Zweck erreichen, so muß es eine Seele haben, nämlich die Seele des Verfassers. Ist es bei zugeknöpftem Rock geschrieben, so mag ich es nicht lesen. –
Es war schon Nachmittag, als wir kurz vor einem Wald den Kontinentalweg erreichten. Wir kannten die sehr charakteristische Stelle, waren sicher, daß wir uns nicht irrten, und lenkten auf ihn ein. Bald befanden wir uns im hohen Wald, herrliche Tannen hüben und drüben, vor und hinter uns. Wir mochten uns wohl eine Viertelstunde in seinem Schatten befunden haben, als uns ein Reiter entgegenkam, ganz in leichtes Leinen gekleidet und mit einem sehr breitrandigen Sombrero auf dem Kopf. Der Sombrero ist überhaupt in Colorado sehr beliebt.
Der Mann war jung, wohl nicht viel über zwanzig Jahre alt. Als er uns erblickte, hielt er sein Pferd an; sein scharfer Blick schien uns taxieren zu wollen. Bewaffnet war er nur mit einem Messer im Gürtel. Kurz ehe wir ihn erreichten, grüßte er uns:
„Good day, Gents! Möchte fragen, wohin Ihr wollt.“
„Bergauf“, antwortete ich.
„Wie weit?“
„Wissen es nicht genau. Wohl bis es dunkel wird und wir einen guten Platz zum Lagern finden.“
„Ihr seid Weiße und Rote. Darf ich Eure Namen wissen?“
„Warum?“
„Weil ich Hilfe suche und sie nur bei Gentlemen finden kann.“
„So seid Ihr bei den richtigen Leuten. Ich heiße Old Shatterhand, und – – –“
„Old Shatterhand?“ unterbrach er mich schnell. „Ich denke, Ihr seid tot!“
„Tot? Wer sagt das?“
„Der, welcher Euch gestern abend erschossen hat.“
„Ah! Wo ist der Kerl?“
„Bei uns.“
„Ja, wo ist denn nun das?“
„Sollt es gleich erfahren, Sir. Wenn Ihr der seid, auf den diese Leute geschossen haben, so kann ich mich auf Euch verlassen. Vater ist Blacksmith (Hufschmied). Wir haben uns vor einiger Zeit hierhergemacht, weil jetzt an diesem alten Weg ein gutes Geld zu verdienen ist. Es sind da oben in den Bergen neue Gold- und Silberfunde gemacht worden, und es kommen täglich Leute vorüber, welche hinauf wollen und einen Schmied brauchen. Es ist uns ganz gut gegangen bisher; wir sind zufrieden, nur daß manchmal Menschen bei uns anhalten, welche alles sind, nur keine Gentlemen. So schlimm aber wie heut diese sechs Kerls hat es noch niemand getrieben. Sie kamen vor vier Stunden an, haben für sich arbeiten lassen und wollen nicht bezahlen. Die Schwester hat sich verstecken müssen, warum, das brauche ich nicht zu sagen. Den Vater haben sie eingesperrt, und ich habe alles herschaffen müssen, was zu essen und zu trinken im Haus war. Fleisch, Mehl, Brot werfen sie einfach auf dem Fußboden herum, und die Flaschen fliegen, noch ehe sie ausgetrunken worden sind, nur so durch die Luft. Es gelang mir endlich, zu fliehen, und nun wollte ich in das Deep (Schlucht, Tal) hinab, um meinen Bruder zu holen, welcher dorthin nach Fischen gegangen ist.“
„Wißt Ihr vielleicht, wie die Kerls heißen?“
„Einer heißt Spencer; ein anderer wird ‚General‘ genannt.“
„Well! Ihr seid hier an die richtigen Leute gekommen und braucht nicht ins Deep zu reiten. Wir werden Euch helfen. Kommt!“
Er kehrte um, und wir ritten weiter. Nach einiger Zeit ging zu unserer rechten Hand der Wald zu Ende; linker Hand lief er noch weiter, indem er eine Krümmung machte und dann auch aufhörte. Wir hielten unter den letzten Bäumen an, weil einen guten, halben Büchsenschuß vor uns ein Haus am Weg lag, dem man es gleich ansah, daß es eine Schmiede war. Es stieß eine Fenz daran, in welcher Pferde standen, wieviel, das konnten wir nicht sehen.
Winnetou sah mich fragend an. Es war kein Mensch außerhalb des Hauses; die Rowdies mußten also noch in der Stube sein; darum sagte ich:
„Das beste ist, wir
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