09 - Old Surehand III
fort ist, weiß man nicht, wohin er ging. Mein Bruder mag wieder absteigen und noch eine Weile bei uns bleiben, denn ich habe notwendig mit ihm zu sprechen!“
„Mein Bruder Shatterhand mag verzeihen! Ich muß fort!“
„Warum scheut sich Kolma Putschi so vor uns?“
„Kolma Putschi scheut sich vor keinem Menschen; aber das, was seine Aufgabe ist, gebietet ihm, allein zu sein.“
Es war eine Lust für mich, Winnetou in das Gesicht zu sehen. Er ahnte, was ich vorhatte, und freute sich innerlich auf die Wirkungen, welche mein Verhalten hervorbringen mußte.
„Mein roter Bruder braucht sich nicht lange mehr mit dieser Aufgabe abzugeben“, erwiderte ich; „sie ist bald gelöst.“
„Old Shatterhand spricht Worte, welche ich nicht verstehe. Ich werde mich entfernen und sage meinen Brüdern Lebewohl!“
Schon hob er die Hand, um sein Pferd anzutreiben; da sagte ich:
„Kolma Putschi wird nicht fortreiten, sondern hierbleiben!“
„Ich muß fort!“ entgegnete er mit aller Bestimmtheit.
„Well, so sage ich nur noch das Wort: Wenn mein Bruder Kolma Putschi fort muß, so bitte ich meine Schwester Kolma Putschi, daß sie noch hier bei uns bleiben möge!“
Ich hatte die beiden Worte Bruder und Schwester scharf betont. Meine Gefährten sahen mich verwundert an; Kolma Putschi aber war mit einem schnellen Sprung von ihrem Pferd herab, kam zu mir geeilt und rief, fast außer sich:
„Was sagt Old Shatterhand? Welche Worte habe ich von ihm gehört?“
„Ich habe gesagt, daß Kolma Putschi nicht mein Bruder, sondern meine Schwester ist“, antwortete ich.
„Hältst du mich etwa für ein Weib?“
„Ja.“
„Du irrst, du irrst!“
„Ich irre nicht. Old Shatterhand weiß stets, was er sagt!“
Da rief sie, mir beide Hände abwehrend entgegenstreckend:
„Nein, nein! Diesmal weiß Old Shatterhand doch nicht, was er sagt!“
„Ich weiß es, ich weiß!“
„Nein, nein! Wie könnte ein Weib ein solcher Krieger sein, wie Kolma Putschi ist!“
„Tehua, die schöne Schwester Ikwehtsi'pas, konnte schon in ihrer Jugend gut reiten und gut schießen!“
Da fuhr sie, laut aufschreiend, einige Schritte zurück und starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an. Ich fuhr fort:
„Kolma Putschi wird nun wohl noch hier bei uns bleiben?“
„Was – was – was weißt du – – – du von Tehua, und was – – – was – – – was kannst du von Ikwehtsi'pa wissen?!“
„Ich weiß viel, sehr viel von beiden. Ist meine Schwester Kolma Putschi stark genug in ihrem Herzen, es zu hören?“
„Sprich, sprich, o sprich!“ antwortete sie, indem sie die Hände bittend faltete und ganz nahe zu mir herantrat.
„Ich weiß, daß Ikwehtsi'pa auch Wawa Derrick genannt wurde.“
„Uff, uff!“ rief sie aus.
„Hat meine Schwester einmal die Namen Tibo taka und Tibo wete gehört? Ist ihr die Erzählung vom Myrtle-wreath bekannt?“
„Uff, uff, uff! Sprich weiter, weiter! Sprich ja weiter!“
„Bist du wirklich stark genug, alles zu hören, alles?“
„Ich bin stark. Nur weiter, weiter, weiter!“
„Ich habe dich zu grüßen von den beiden kleinen Babies, welche vor Jahren hießen Leo Bender und Fred Bender.“
Da fielen ihr die Arme nieder; es wollte ein Schrei aus ihrer Brust; sie brachte ihn aber nicht heraus. Sie sank langsam, langsam nieder, legte die Hände in das Gras, grub das Gesicht hinein und begann zu weinen, laut, fast überlaut und so herzbrechend, daß es mir nun doch angst um sie wurde.
Man kann sich denken, mit welchem Erstaunen meine Gefährten uns zugehört hatten, und mit welchem Ausdruck ihre Augen jetzt an der Weinenden hingen, der ich vielleicht doch zuviel Stärke und Selbstbeherrschung zugetraut hatte. Da stand Apanatschka auf, trat an mich heran und fragte:
„Mein Bruder Shatterhand hat von Tibo taka, Tibo wete und von Wawa Derrick gesprochen. Das sind Worte und Namen, welche ich kenne. Warum weint Kolma Putschi darüber?“
„Sie weint vor Freude, nicht vor Schmerz.“
„Ist Kolma Putschi nicht ein Mann, ein Krieger?“
„Sie ist ein Weib.“
„Uff, uff!“
„Ja, sie ist ein Weib. Mein Bruder Apanatschka mag seine Kraft zusammennehmen und jetzt sehr stark sein. Tibo taka war nicht sein Vater und Tibo wete nicht seine Mutter. Mein Bruder hatte einen andern Vater und eine andere Mutter – – –“
Ich konnte nicht weiter sprechen, denn Kolma Putschi sprang jetzt auf, faßte mich bei der Hand und schrie, auf Apanatschka zeigend:
„Ist das
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