09 - Old Surehand III
seinen Begleitern eigentlich gewollt hatte; ich konnte nur unbestimmte Ahnungen darüber hegen; aber nach dem, was geschehen war, mußte ich annehmen, daß er sich der Rache wegen an unsere Fersen geheftet hatte. Der Umstand, daß wir sein Pferd behalten hatten, konnte gar nichts daran ändern, sondern die Ausführung dieses Vorhabens höchstens verzögern, und diese Verzögerung konnten wir nicht mehr in Anschlag bringen, weil unsere dreitägige Versäumnis ihm Gelegenheit gegeben hatte, den ihm abgewonnenen Vorsprung einzuholen. Ebenso mußte ich an Tibo taka denken. Das Ziel seines Rittes war uns eigentlich unbekannt; daß er nach Fort Wallace wolle, war jedenfalls eine Lüge gewesen. Ich nahm, grad so wie Winnetou, an, daß der weiße Medizinmann auf irgendeinem uns noch unbekannten Wege von dem ‚General‘ aufgefordert worden sei, nach Colorado zu kommen und dort an einem bestimmten Punkt mit ihm zusammenzutreffen. Ein einzelner Mann, der noch dazu durch die Anwesenheit seiner Frau an jeder freien Bewegung gehindert wurde, war eigentlich gar nicht zu fürchten; aber dem Bösen ist das, was man Glück zu nennen pflegt, oft wenigstens scheinbar oder vorübergehend günstiger als dem Guten, und so schien es geraten, auch diesen Menschen mit in die Berechnung zu ziehen.
Wir waren also auf unserm weitern Ritt sehr vorsichtig und kamen über die Grenze hinüber und ein gutes Stück ins Colorado hinauf, ohne irgendwelche Belästigung erfahren oder eine Spur der erwähnten Personen entdeckt zu haben.
Jetzt befanden wir uns in der Nähe des Rush-Creek, und Winnetou kannte da ein altes, längst verlassenes Camp, welches wir gegen Abend erreichen wollten. Dieser Platz hatte nach der Beschreibung des Apachen einen nie versiegenden Quell und war mit einer Steinumwallung umgeben, welche guten Schutz gewährte, obgleich sie nicht eine Mauer bildete, sondern in der Weise aufgeschichtet war, wie die Landleute mancher Gegenden die in ihrem Acker gefundenen Steine rund um denselben aufeinanderlegen. Für den Westmann bietet ein solcher Wall, auch wenn er nicht hoch ist, eine stets willkommene Deckung gegen etwaige Angriffe.
Kurz nach Mittag entdeckten wir eine Fährte von gegen zwanzig Reitern, welche aus Nordost herüberkam und auch nach dem Rush-Creek zu gehen schien. Die Spuren zeigten, daß die Pferde beschlagen gewesen waren; dieser Umstand und die schlechte und oft unterbrochene Ordnung, welche die Männer eingehalten hatten, ließen vermuten, daß sie Weiße waren. Wir wären dieser Fährte gefolgt, auch wenn sie nicht so genau in unsere Richtung geführt hätte. Man muß im wilden Westen stets wissen, was für Menschen man vor sich hat. Daß sie hinauf in die Berge wollten, war für uns ganz selbstverständlich, zumal man grad damals von bedeutenden Gold- und noch größeren Silberfunden sprach, die in den Mountains gemacht worden seien. Wahrscheinlich hatten wir da die Fährte einer Gesellschaft jener Abenteurer, welche sich infolge solcher Gerüchte schnell zusammenfinden und dann ebenso rasch wieder auseinandergehen, verwegene und gewissenlose Gesellen, welche vom Leben alles erwarten und sich doch sehr wenig daraus machen, wenn sie nichts bekommen.
Die Fährte war wenigstens fünf Stunden alt; wir hatten also Grund, anzunehmen, daß wir heut mit diesen Leuten nicht zusammentreffen würden. Wir folgten ihr also ohne alle Besorgnis, bis wir an eine Stelle kamen, wo sie angehalten hatten. Mehrere leere Konservenbüchsen, die man weggeworfen und dann unvorsichtig liegenlassen hatte, verrieten, daß an diesem Ort Mittag gehalten worden war. Auch eine leere Flasche lag da. Wir waren abgestiegen, um die Stelle genau zu untersuchen, fanden aber nichts, was uns zu ungewöhnlichen Befürchtungen Veranlassung geben konnte. Dick Hammerdull hob die Flasche auf, hielt sie gegen das Licht, sah, daß sich noch ein Schluck drin befand, setzte sie an den Mund und warf sie schnell wieder fort. Sprudelnd und Gesichter schneidend, rief er aus:
„Pfui! Wasser, abgestandenes, altes, halbwarmes Wasser! Hatte mir eingebildet, einen Schluck guten Brandy zu finden! Das können keine Gentlemen sein! Wer eine Flasche bei sich hat und nur Wasser drin, der kann keine Ansprüche auf meine Achtung haben, der ist ein ordinärer Mensch! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“
„Hm!“ brummte der Lange. „Wenn du Schnaps erwartet hast, so kannst du mir in der Seele leid tun, lieber Dick. Denkst du denn, daß dir hier im Westen
Weitere Kostenlose Bücher