09 - Vor dem Tod sind alle gleich
hat.«
Fianamail lehnte sich mit einer Miene offenen Hohns zurück.
»Das hört sich an wie der Mut der Verzweiflung, Fidelma von Cashel. Du klammerst dich an einen Strohhalm. Nun, hier hast du keine Zuhörerschaft, an die du dich wenden kannst. Nicht wie in Ros Ailithir, wo du die Zuhörer gegen mich und Bischof Forbassach beeinflußt hast. Hier habe ich die letzte Entscheidung.«
Fidelma wußte, daß an Fianamails Moral zu appellieren zwecklos war. Der junge Mann wollte sich an ihr rächen. Sie änderte ihre Taktik und hob die Stimme.
»Du bist König, Fianamail, und welchen Groll du auch gegen mich oder Cashel hegst, du wirst dich wie ein König verhalten, denn wenn du es nicht tust, werden selbst die Pflastersteine, auf die du trittst, aufschreien und dich als ungerecht und böse bezeichnen.«
Fianamail erschrak über ihre Heftigkeit.
»Ich spreche als König, Fidelma von Cashel. Man hat mir gesagt, daß der Angelsachse jede Gelegenheit bekam, sich zu verteidigen«, antwortete er widerwillig.
Fidelma hakte sofort ein. » Sich zu verteidigen? Hat man ihm denn nicht einen dálaigh gestellt, der ihn vertrat – der nach dem Gesetz für ihn plädierte?«
»Dieses Vorrecht wird nur wenigen Ausländern gewährt. Es stimmt aber, daß er, weil er unsere Sprache spricht und sich offensichtlich in unserem Recht etwas auskennt, sich selbst verteidigen durfte. Er wurde nicht schlechter behandelt als jeder andere Wandermönch.«
»Dann hat euch Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham nicht gesagt, welchen Rang er besitzt?« fragte Fidelma, die einen schwachen Hoffnungsschimmer erkannte.
Fianamail starrte sie an und wußte nicht, worauf sie hinauswollte.
»Der Mann ist ein Mönch, ein Wallfahrer Christi. Was soll er denn sonst für einen Rang haben?«
»Er ist ein techtaire, nicht ein bloßer Wandermönch. Als techtaire steht er unter dem Gesetz Bretha Nemed, denn Eadulf reiste unter dem Schutz König Colgús als Mitglied seiner Hofhaltung.«
Der junge König war leicht verwirrt. Er war kein dálaigh und kein Brehon und kannte das Gesetz nicht, auf das sich Fidelma bezog.
»Wieso stand der Angelsachse unter dem Schutz des Hauses deines Bruders?«
Fidelma spürte die Unsicherheit hinter seiner jugendlichen Arroganz. »Das ist leicht zu verstehen. Theodor von Canterbury, der Erzbischof und Berater aller angelsächsischen Königreiche, schickte Eadulf als seinen persönlichen Abgesandten zu meinem Bruder. Deshalb besitzt er einen Sühnepreis von acht cumals, halb so hoch wie dein eigener Sühnepreis als König von Laigin. Er hat die Rechte und genießt den Schutz eines Botschafters. Und er kann den halben Sühnepreis seines Dienstherrn beanspruchen. Auf dem Rückweg zu Theodor von Canterbury mit Botschaften meines Bruders behält Eadulf denselben Sühnepreis und steht im Dienst meines Bruders. Das Gesetz spricht sich eindeutig über den Schutz aus, den es einem Abgesandten zwischen einem König und einem Erzbischof zubilligt.«
»Aber er beging einen Mord«, wandte Fianamail ein.
»Das behaupten deine Gerichte«, stimmte ihm Fidelma zu. »Doch die Umstände müssen geprüft werden, denn heißt es nicht im Bretha Nemed, daß Diener des Königs Gewalttaten zur Selbstverteidigung in Erfüllung ihrer Pflichten straflos begehen dürfen? Welche Gründe gab es denn für sein Verbrechen? Es kann gut sein, daß er Immunität genießt. Hat man das berücksichtigt?«
Fianamail war sichtlich verwirrt von ihren juristischen Kenntnissen. Er hatte ihnen nichts entgegenzusetzen und gab das auch zu.
»Ich bin nicht so bewandert in der Rechtskunde wie du, Fidelma von Cashel«, gestand er. »Ich muß mich darüber beraten lassen.«
»Dann laß gleich deinen Brehon holen; soll er mir gegenüberstehen, und wir diskutieren die Präzedenzfälle.«
Fianamail stand auf, schüttelte den Kopf und schenkte sich am Tisch ein Glas Wein ein.
»Er ist jetzt nicht hier. Ich erwarte ihn erst morgen zurück.«
»Dann mußt du dir ohne ihn dein eigenes Urteil bilden, Fianamail. Ich habe dich, was das Gesetz betrifft, nicht belogen. Bei meiner Ehre als dálaigh und mit oder ohne Rat deines Brehons, wenn in diesem Königreich ein falsches oder irrtümliches Urteil gefällt worden ist, dann kann es dir passieren, daß du nicht für den richtigen König gehalten wirst und dich einem höheren Gericht stellen mußt. Kein König besitzt eine größere Vollmacht als das Gesetz.«
Fianamail versuchte zu überlegen, wie er sich am besten verhalten sollte.
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