09 - Vor dem Tod sind alle gleich
Gesetz, den fünf Königreichen und ihrem eigenen Bruder. Jetzt, in dem Augenblick, da sie aufgehört hatte, ihre Gefühle zu leugnen, und sich selbst gegenüber zugab, wieviel Eadulf ihr bedeutete, drohte die Gefahr, daß er ihr für immer entrissen wurde. Es war … so unfair. Sie wußte, wie banal sich das anhörte, aber ihr fiel kein anderer Ausdruck ein, trotz ihrer Kenntnis der Philosophen des Altertums. Die würden ein so schändliches Schicksal damit erklären, daß die Götter es anders gewollt hätten. Das konnte sie nicht hinnehmen. Vergil schrieb: Fata viam invenient – die Götter werden einen Weg finden. Sie mußte einen Weg finden. Sie mußte es einfach.
Kapitel 9
Fidelma bewegte sich in ihrem unruhigen Schlaf.
Sie träumte. Im Traum sah sie den Leichnam des Mönchs am Ende des straffen Seils am hölzernen Galgen pendeln. Dahinter stand eine Gruppe von kapuzentragenden Gestalten, die den Toten auslachten und verhöhnten. Sie versuchte mit ausgestreckten Händen die hängende Gestalt zu erreichen, doch etwas drückte sie zurück. Hände hielten sie fest. Sie wollte sehen, wer es war, und drehte sich um. Hinter ihr erschien das Gesicht ihres alten Mentors und Lehrers, des Brehons Morann.
»Warum?« schrie sie ihn an. »Warum?«
»Das Auge verbirgt, was es nicht sehen will«, lächelte der Alte rätselvoll.
Sie wandte sich ab und wieder der hängenden männlichen Gestalt zu.
Es gab ein krachendes Geräusch. Zuerst glaubte sie, der Galgen breche zusammen, das Holz berste und splittere.
Dann merkte sie, daß sie wach geworden war und der krachende Lärm tatsächlich vor ihrem Zimmer entstand. Schwere Schritte polterten die Treppe des Gasthauses zum Gelben Berg hinauf. Sie hatte kaum Zeit, sich im Bett aufzurichten, als die Tür schon ohne weiteres aufgerissen wurde.
Bischof Forbassach stürmte herein, eine Laterne in der Hand. Hinter ihm drängten sich ein halbes Dutzend Männer mit gezogenen Schwertern, darunter eine bekannte, mächtige Gestalt. Es war Bruder Cett.
Bevor sie noch ganz bei Sinnen war, begann Bischof Forbassach mit hochgehaltener Laterne ihr kleines Zimmer abzusuchen, kniete sich hin und spähte unter das Bett.
Einer der Männer drückte ihr wortlos drohend die Schwertspitze auf die Schulter.
Fidelma war entsetzt und verwirrt, dann starrte sie mit wachsender Empörung die Männer an.
»Was soll das heißen?« fragte sie.
Plötzlich gab es ein Handgemenge vor der Tür. Einige Männer kamen ihren Kameraden draußen zu Hilfe, dann wurden Dego und Enda, die Arme auf den Rücken gedreht, hereingeschleppt. Sie waren anscheinend bei dem Lärm mit gezogenen Schwertern herbeigeeilt und von der Übermacht überwältigt worden. Nun standen sie, zwangsweise vornübergebeugt, zwischen Forbassachs Männern.
»Was hat dieser frevelhafte Überfall zu bedeuten, Forbassach?« fragte Fidelma kalt, ihr eisiger Ton verdeckte ihre kochende Empörung. Sie ignorierte die drohende Schwertspitze an ihrer Brust. »Hast du völlig den Verstand verloren?«
Der Bischof hatte in alle Ecken geschaut, nun wandte er sich ihr zu, die Laterne immer noch in der Hand. Sein Gesicht war eine Maske offener Feindseligkeit.
»Wo ist er?« knurrte er.
Fidelma starrte ihn mit gleichem Abscheu an.
»Wo ist wer? Du wirst dieses unbegründete Eindringen sehr genau zu erklären haben, Brehon von Laigin. Weißt du, was du tust? Du brichst alle Gesetze des…«
»Halt den Mund, Frau!« brummte der Mann mit dem Schwert an ihrer Brust und unterstrich den Befehl mit einem leichten Zustoßen.
Fidelma spürte den Einstich. Sie sah den Krieger nicht an, sondern hielt den Blick auf Forbassach gerichtet.
»Sag deinem Raufbold, wer ich bin, Forbassach, und denke du auch daran. Wenn das Blut der Schwester des Königs Colgú fließt, die außerdem noch dálaigh bei Gericht ist, dann bedeutet das Blut um Blut. Du kennst das Gesetz. Es gibt einige Dinge, die durch nichts zu entschuldigen sind. Du hast die Grenzen meiner Geduld überschritten.«
Bischof Forbassach stutzte bei der eisigen Wut in ihrer Stimme. Er hatte Mühe, sein eigenes Temperament zu zügeln, und brauchte eine ganze Weile dazu.
»Du kannst dein Schwert einstecken«, sagte er gepreßt zu dem Mann. Dann wandte er sich wieder an Fidelma. »Ich frage dich noch einmal, wo ist er?«
Fidelma betrachtete die einschüchternde Gestalt des Brehons von Laigin mit kühler Neugier.
»Und ich frage dich noch einmal, wen meinst du damit?«
»Du weißt ganz genau, daß ich den
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