09 - Vor dem Tod sind alle gleich
plötzlich auf.
»Die Anhörung ist damit beendet. Der Gerechtigkeit halber hat mein Brehon, Bischof Forbassach, mich gebeten, den Fall mit mir zu besprechen, damit das Urteil, zu dem wir gelangen, vollkommen gerecht ausfällt. Er wird unsere Antwort auf diese Berufung morgen früh verkünden. Die Verhandlung ist nunmehr abgeschlossen.«
Dunkle Verzweiflung überkam Fidelma für einen Augenblick, während sie auf ihren Stuhl zurücksank.
»Die Gerichte von Laigin sind in die Finsternis zurückgefallen!« rief eine durchdringende männliche Stimme. Sie nahm kaum wahr, daß es der bó-aire Coba war, der aufstand und aus der Halle stürmte.
Fianamail zögerte, verärgert über diesen Zwischenfall, und verließ dann mit finsterer Miene den Saal. Bischof Forbassach blieb einen Moment unentschlossen stehen, dann trat die Äbtissin zu ihm. Triumphierend wandte er sich ihr zu, und gemeinsam gingen sie hinaus. Als auch die anderen sich zerstreuten, kam Dego zu Fidelma und legte ihr mit verlegen-tröstender Geste die Hand auf die Schulter.
»Du hast dein Bestes getan, Lady«, murmelte er.
»Sie sind darauf aus, daß Bruder Eadulf sterben soll.«
Fidelma hob den Kopf, spürte, daß ihr Tränen in die Augen traten, und schämte sich ihrer nicht.
»Dego, ich weiß nicht, was ich noch legal tun kann, um ihn zu retten. Es bleibt keine Zeit.«
»Aber sie verkünden das Urteil erst morgen. Es besteht noch Hoffnung, daß sie für deine Berufung entscheiden.« Überzeugt klang er nicht.
»Du hast gehört, wie Brehon Forbassach mich abfahren ließ. Nein, er wird bei dem Urteil bleiben, das er einmal gesprochen hat.«
Widerwillig stimmte ihr Dego zu. »Da hast du recht, Lady. Bischof Forbassach hat seine Voreingenommenheit deutlich gezeigt. Hast du gesehen, wie er mit der Äbtissin Fainder wegging und beide lächelten und er ihre Hand hielt? Die stecken unter einer Decke.«
»Uns bleibt nur noch die Hoffnung, daß der Oberrichter von Irland, Barrán, selbst herkommt und dieser üblen Ungerechtigkeit Einhalt gebietet«, meinte Fidelma.
Dego schüttelte traurig den Kopf. »Dann gibt es keine Hoffnung, Lady. Aidan braucht noch mindestens drei Tage, um Barrán zu suchen und herzubringen, vielleicht sogar eine ganze Woche, und Glück muß er auch noch haben.«
Fidelma erhob sich und bemühte sich, ihre Fassung wiederzuerlangen.
»Ich muß zur Abtei und Eadulf sagen, er solle sich auf das Schlimmste gefaßt machen.«
»Wäre es nicht besser, du wartest, bis morgen früh die Entscheidung formell verkündet wird?«
»Ich kann mir nichts vormachen, Dego, und Eadulf kann ich auch nichts vormachen.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nein, Dego, aber vielen Dank. Das ist etwas, was ich am besten allein tue. Ich glaube, Eadulf sähe morgen gern ein paar freundliche Gesichter, wenn das Schreckliche geschieht. Wenigstens kann er im Beisein von Freunden sterben und nicht nur unter Feinden. Ich werde um die Erlaubnis bitten, dabeisein zu dürfen, sobald das Urteil gefällt ist. Werdet ihr, Enda und du, mich begleiten?«
Dego zögerte keinen Moment.
»Natürlich. Gott vergebe ihnen, wenn sie deine Berufung tatsächlich verwerfen, Lady. Ich habe manchen tapferen Mann in der Schlacht sterben sehen, und ich habe auch selbst viele getötet. Aber in der Kampfeswut, mit heißem Blut, Männer, die frei waren und mit Schwert und Lanze in der Hand, die sich verteidigten, im Kampf Mann gegen Mann, unter Gleichen. Doch das hier… das ist eine üble Sache, einem Menschen nur noch die Würde eines armen Kalbs im Schlachthaus zu lassen. Dafür muß man sich schämen.«
»Das ist nicht unsere Art der Bestrafung«, pflichtete ihm Fidelma bei. Dann seufzte sie tief. »Man kann wahrscheinlich der Meinung sein, daß jemand, der einen Mord begeht, einem anderen Menschen Leid und Tod zufügt, nicht unser Mitgefühl verdient, aber…«
»Das ist noch kein Grund, daß wir auf die Stufe des Mörders hinabsteigen und unseren Mord mit kaltblütigen Ritualen verhüllen«, unterbrach sie Dego. »Und du meinst doch sicher nicht, daß du jetzt Bruder Eadulf dieses Verbrechens für schuldig hältst?«
Fidelma kämpfte mit ihren Gefühlen und schüttelte rasch den Kopf. Sie hoffte, daß ihre Augen nicht zu sehr glänzten.
»Ich weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, ob Eadulf schuldig ist oder nicht. Ich glaube, daß er unschuldig ist. Ich vertraue seinem Wort. Aber Worte genügen dem Gesetz nicht. Nach meinem Wissen kann ich nur sagen, daß es zu viele Fragen gibt, die
Weitere Kostenlose Bücher