090 - Die Totenwache
hielt er inne.
„Den Meißel!"
Barson sträubte sich dagegen, die Figur derart zu beschädigen.
„Das kannst du nicht machen, Danny… Wir kommen in Teufels Küche."
„Den Meißel!"
Widerstrebend gab Barson seinem Freund das Werkzeug. Danny trieb die Spitze in eine kaum sichtbare Vertiefung am Boden des Falken. Dann schlug er mit der flachen Rechten kurz dagegen. Ein schmales Marmorstück splitterte ab, und der Boden fiel herunter.
„Und jetzt paß auf', murmelte Danny. „Das ist das Versteck des Jahrhunderts."
Norman konnte durch den Türspalt sehen, daß Danny mehrere Plastiksäcke aus dem Inneren des ausgehöhlten Falken hervorzog, Er brauchte den weißmehligen Inhalt nicht zu sehen. Er wußte auch so, was hier vor sich ging.
Heroin, schoß es ihm durch den Kopf. So schafft Costa das Teufelszeug ins Land. Völlig risikolos - in Ausgrabungsstücken aus dem Nahen Osten.
Die beiden Museumswärter lachten. Sie fühlten sich völlig sicher.
Plötzlich verstummte das Gelächter. Totenstille breitete sich aus. Norman beugte sich neugierig vor, doch die Türfläche versperrte ihm den Blick in den rechten Teil des Zimmers. Jetzt hörte er das entsetzte Atmen Dannys. Der Meißel polterte laut auf den Boden.
„Hast du das gesehen, Clay?"
„Ja - es war im Nebenraum! Wir sind nicht allein."
Norman hörte, daß Danny den Meißel aufhob. Er konnte sich vorstellen, daß der Wärter ihn als Waffe benutzen wollte.
Außer ihm und den beiden Wärtern hielt sich also noch eine vierte Person im Museum auf. Norman sah sich nach einem Versteck um. Er hatte keine Lust, zwischen die Fronten rivalisierender Rauschgifthändler zu geraten.
Die erregten Stimmen der beiden Wärter brachen plötzlich ab. Norman hörte, daß der Meißel gegen die Wand prallte, zu Boden fiel und dicht neben der Tür liegenblieb.
Jetzt rannte Norman los. Der vor ihm liegende Gang war dunkel. Sämtliche Türen waren verschlossen, und er hätte schon einen Dietrich oder einen Zweitschlüssel gebraucht, um sie zu öffnen. Wenige Meter vor ihm führte eine schmale Treppe zum Kellerarchiv hinunter.
Ich verstecke mich dort unten! hämmerte er sich ein. Dorthin werden sie schon nicht kommen. Bevor er sich die düsteren Stufen hinabwagte, sah er sich noch einmal kurz um.
Er erstarrte mitten in der Bewegung. Das, was er sah, trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn.
Die schlanke Gestalt der unheimlichen Frau aus dem Keller stand mitten im Gang. Von ihren goldenen Schmuckstücken ging ein merkwürdig intensiver Glanz aus. Ihr weißer Leib wirkte fast durchsichtig. Sie glich einer geisterhaften Erscheinung. Norman hätte wetten können, daß sie gar nicht körperlich anwesend war.
Jetzt sprangen Danny und Clay aus dem Zimmer.
„Wer bist du?" schrie Danny heiser.
Die schimmernde Erscheinung antwortete nicht. Sie drehte sich langsam um und schwebte auf Norman Moore zu.
Die beiden Wärter rannten hinterher.
„Sie wird uns verpfeifen!"
„Quatsch!" keuchte Danny. „Da erlaubt sich jemand einen ganz gemeinen Scherz mit uns!"
Norman stürzte die Treppe hinunter. Er mußte vor den beiden unten sein. Sein Herz schlug bis zum Hals.
Was hatte die Schlafende dazu gebracht, den Sarkophag zu verlassen und sich diesen beiden Schuften zuzuwenden?
Norman fand in der Eile den Schlüssel zum Archiv nicht. Hastig durchwühlte er seine Hosentaschen. Als die Frau den Kellergang erreichte, gab er die Suche auf und sprang hinter einen Bücherwagen, der seit einigen Tagen hier unten stand.
„Sie schwebt über dem Boden!" stieß Danny ungläubig hervor. „Das - ist kein Mensch, Clay!"
Die geheimnisvolle Frau lockte die beiden Männer bis vor die Tür des Kellerarchivs. Sie tippte mit der ausgestreckten Rechten dagegen, und die Tür öffnete sich knarrend.
Norman Moore hielt den Atem an. Er konnte sich dem Reiz der faszinierenden Gestalt nicht entziehen. Er war sogar eifersüchtig auf die beiden Wärter. Denn allem Anschein nach wurden sie von der Frau bevorzugt.
Die Tür zum Archiv stand sperrangelweit offen.
Es war so wie am Vortag, als Norman den Sarkophag entdeckt hatte. Das geisterhafte Licht erhellte den Raum. Man konnte jeden Gegenstand deutlich erkennen.
Die beiden Wärter folgten der Frau. Wenig später waren sie zwischen den Regalen verschwunden. Jetzt erst betrat Norman das Archiv. Er kannte sich hier unten bestens aus. Jeder Zwischenraum, jeder Winkel und jede Nische war ihm vertraut. Plötzlich fiel hinter ihm die schwere' Tür ins Schloß.
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