0900 - Der Magier
Vergangenheit getaucht. Das war etwas, das er jetzt nicht brauchen konnte, denn er musste sich auf eine Sache konzentrieren. Es war alles andere als sicher, ob er selbst das schaffen konnte.
Seine Inkarnation in den Schwefelklüften war ganz einfach zusammengebrochen. Merlin hatte sie nicht mehr aufrecht erhalten können, doch das war nicht so wichtig. Er hatte Zamorra gezeigt, was der Parapsychologe hatte sehen müssen. Zudem hatte er ihn eindringlich vor der drohenden Gefahr gewarnt. Zamorra würde wissen, wie er sich vorzubereiten hatte.
Merlin wusste ja selbst nicht, wie der Angriff von Lucifuge Rofocale aussehen würde. Wenn er jedoch erfolgte, dann musste der alte Zauberer handeln - und schließlich doch noch einmal selbst eingreifen. Das jedoch bedurfte einiger Vorbereitungen, die nicht durch Abschweifungen gestört werden sollten.
Und dennoch - Myrddhin Emrys, wie einer seiner vielen Namen lautete, schaffte es nicht ganz, sein Bewusstsein auf ein Ziel hin zu fokussieren. Ein Teil seiner Gedanken schwenkte immer wieder von Hauptweg ab.
Der Sohn des Zimmermanns… ja, die erste Tafelrunde, deren Ziel es war, das Dunkle endgültig zu vertreiben, war ebenso gescheitert wie die zweite und dritte nach ihr. Dabei hatte gerade die erste so perfekt angemutet.
Kein Krieg, keine Schlachten und Gemetzel - Güte und Barmherzigkeit wären ihre Parolen gewesen. Doch auch damals schon gab es die schlimmsten aller Krankheiten: die menschliche Schwäche, Gier, Hass, Missgunst, das Bestreben, niemals einen anderen als sich selbst für den perfekten Mensch zu erachten. Mord, Folter, Herrschsucht und Terror entstanden daraus - und der Verrat!
Verrat - das war eine leichte Methode, um an seine Ziele zu gelangen, denn man konnte im Verborgenen agieren, musste sich niemals zeigen, und doch hielt man die Zügel straff in den eigenen Händen, weil man Verrat wunderbar steuern konnte, wenn man ihn wohl dosiert an die richtige Stelle platzierte, genau im richtigen Augenblick.
Der Zimmermannsohn hatte den Beruf des Vaters erlernt, wie es damals üblich war. Er liebte Holz - er liebte die Fischerei - er liebte die Menschen. Der Kreis schloss sich an jenem verfluchten Tag, an dem er von Menschen an Holz geschlagen wurde…
Die Seinen, die ihm blind nachgefolgt waren, standen hilflos dabei - so auch Merlin.
Der Sohn des Zimmermanns starb mit der Gewissheit, dass die Menschen nicht so waren, wie er sie gerne gesehen hätte. Noch nicht. Doch sein Tod zog etwas nach sich, mit dem niemand gerechnet hatte… und das wirkte noch heute überall auf der Welt nach.
Drei Versuche… drei Niederlagen… dreifacher Verrat.
Merlin riss sich zusammen. Das war jetzt nicht mehr wichtig, nichts weiter als vergangene Schatten der Versagens. Wichtig war jetzt nur noch eine Sache. Es galt den Kopf der dritten Tafelrunde vor dem Tod zu bewahren: Professor Zamorra. Auch hier war Merlin gescheitert, doch Zamorra hatte überlebt, also war noch nicht alles verloren. Der Franzose wusste noch nicht von den Veränderungen, die bereits im Gange waren, die durch nichts und niemanden aufgehalten werden konnten.
Dennoch musste das Gleichgewicht der Waagschalen gehalten werden. Solange es nur möglich war. Merlins letzte Aktion gegen Svantevit hatte den Alten vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Regeneration war praktisch auf Null zurück geworfen worden.
Und Null bedeutete den Tod!
Merlins Tod. Er konnte diesen Gedanken nicht verwerfen, nur verdrängen. Konzentriert arbeitete er an der Aktion, die vielleicht seine letzten Kräfte aufbrauchen würde: Er musste die Regenerationskammer überlisten. Merlin musste zurück in die Realwelt, doch dies durfte niemand wissen oder auch nur ahnen. Der Magier war überzeugt, dass es Kräfte gab, die genau bestimmen konnten, wo er sich aufhielt. Und genau diese Mächte durften nicht bemerken, dass er aus der Kammer verschwunden war.
Er musste einen Austausch initiieren und etwas anderes an seine Stelle setzen.
Noch durfte niemand von seiner Flucht aus der Regenerationskammer wissen, denn eine Flucht war es für ihn tatsächlich. Die letzte Flucht…
Ein letztes Mal wollte er nicht nur den Zuschauer spielen, sondern aktiv eingreifen.
Das zumindest war er Professor Zamorra schuldig, ihm und einer Zukunft, die dann nicht mehr die des alten Zauberers sein konnte…
***
Lucifuge Rofocale, Ministerpräsident des Satans, konnte sich wirklich nicht mehr entsinnen, wo er das Gerücht zum ersten Mal gehört hatte.
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