0900 - LAIRE
Zuhlen zusammen im Turmtreff von Urzurk-Urzurkan, und sie plauderten so zwanglos miteinander, wie das bei zwei Loowern von so unterschiedlichem Rang und unterschiedlicher Ausbildung nur möglich war.
„Deine Arbeit war nicht umsonst", versuchte er Zuhlen zu trösten. „Wir wissen nun, welche Aufgabe wir wirklich zu bewältigen haben. Es gilt, die richtige Materiequelle zu finden. Wir werden unter den dafür geeigneten Personen einen Loower mit überragenden Qualifikationen auswählen."
Der Türmer konnte nicht wissen, daß er mit diesen Worten die Wahl für den ersten Quellmeister der Loower einleitete. Zuhlens düstere Stimmung besserte sich nicht.
„Was für einen Sinn hätte das?" fragte er. „Bis wir die richtige Quelle gefunden haben, wird uns dieses Auge zum Verhängnis werden."
„Das ist ein berechtigter Einwand", gab Groden-Loran zu. „Es ist durchaus möglich, daß der rechtmäßige Besitzer des Auges uns auf die Spur kommt."
Zuhlen gab ein klagendes Geräusch von sich.
„Immerhin ist Kumor Ranz jetzt nicht mehr die einzige tragische Figur in der jüngeren loowerischen Geschichte", meinte er. „Er hat in mir einen Schicksalsgenossen gefunden."
„Was ihr beide getan habt, war nicht umsonst". wiederholte der Türmer mit Nachdruck.
Er blickte durch die Trennscheibe hinaus auf ein am Turmtreff vorbeiführendes Schwebeband. In jeder Minute wurden dort Tausende von Loowern vorbeigetragen. Das war das Tröstliche an dieser Sache, dachte der Türmer, daß das Leben weiterhin einen Verlauf nahm, als wäre nichts geschehen. Die meisten Loower dort draußen ahnten nicht einmal etwas von den schicksalhaften Vorgängen in ihrer Nähe.
„Ich glaube", sagte Groden-Loran nachdenklich, „daß wir das Auge verstecken müssen.
Jedenfalls bis zu dem Augenblick, da wir die richtige Materiequelle gefunden haben."
„Wo wollen wir es hinbringen?" erkundigte sich Zuhlen, von der vagen Hoffnung beseelt, daß man ihr damit beauftragen könnte. „Auf eine Welt, auf der keine intelligenten Wesen leben", erwiderte der Türmer. „Es gibt genügend jungfräuliche Planeten in den verschwiegenen Seitenarmen der Galaxis, die als Versteck in Frage kommen."
Zuhlen wagte nicht zu fragen, ob er diese Mission übernehmen könnte, und Groden-Loran wagte nicht, ihm jetzt zu sagen, daß er zu alt dafür war.
Plötzlich spürten beide, daß sie sich nichts mehr zu sagen hatten. Wie auf ein heimlich verabredetes Signal erhoben sie sich.
„Gutes, entelechisches Denken, Türmer", verabschiedete sich der Kommandant.
Groden-Loran murmelte eine Antwort, die einen ähnlichen Sinn besaß, aber das hörte der Raumfahrer schon nicht mehr. Er ging davon, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
*
Jedes mal, wenn Muden-Sprengan sich der Neunturmanlage auf Alkyra-II von außen näherte und sie in ihrer Kompaktheit vor sich liegen sah, wurde er von dem Gefühl überwältigt, daß er einem Zweig der loowerischen Zivilisation angehörte, der sich nun zu einem einzigen Zweck entwickelt hatte: regelmäßig den Impuls des Auges zu empfangen!
Das verlieh seinem Leben den Anschein von Sinnlosigkeit. Der Planet, auf dem die Loower das Auge versteckt hatten, gehörte zu einem Sonnensystem, das 226.000 dieser Planetenjahre benötigte, um innerhalb der Galaxis eine volle Rotation auszuführen.
Nachdem ein solcher Zeitraum verstrichen war, strahlte das Auge einen auf Alkyra-II gerichteten Impuls ab, und die Loower wußten, daß es sich unbeschädigt in seinem Versteck befand.
Der letzte Impuls war zeitgemäß lange vor Muden-Sprengans Geburt erfolgt, und der nächste würde erst lange nach seinem Tod ankommen. Auch dieser Umstand war ein Teil der Leere, die der junge Loower empfand.
Er wußte, wozu er lebte, aber er konnte diesen Sinn gefühlsmäßig nicht begreifen. Das änderte sich auch nicht, wenn er daran dachte, daß unzählige Loower unter der Führung von Quellmeistern unterwegs waren, um die zu dem Auge passende Materiequelle zu finden. Diese Geschehnisse, von denen er nur vom Hörensagen wußte, waren unendlich weit entfernt, sie ereigneten sich in räumlichen und zeitlichen Abständen, die kaum noch übersehbar waren.
Muden-Sprengan fühlte sich als bedeutungsloser Bestandteil einer unüberschaubaren Maschinerie, und er wußte, daß es vielen tausend Artgenossen genauso erging. Er steuerte seinen neunrädrigen Sumpfwagen auf die Schleuse eines der neun Türme zu.
Die Zahl neun spielte im Leben der Loower eine immer größere
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