0902 - Zurück zu den Toten
riß seinen Hut vom Kopf, und ich sah die dünnen Haare, die flach auf seinem Kopf lagen.
Er röchelte, und sein Gesicht wurde zu einer Maske, die vor meinen Augen zerbrach. Es rieselte, es knirschte leise, es drang aber kein Tropfen Blut hervor. Er hatte noch nichts getrunken, er war leer, aber die alten Gesetze galten auch für ihn.
Der Blutsauger verging. Es blieben graue Reste zurück. Knochig und staubig, halb verwest, eine Haut, die aussah wie ein alter Lappen, der immer mehr zerriß.
Vorbei!
Ich atmete auf und freute mich darüber, endlich wieder einen Sieg errungen zu haben. Die Zeit des Wartens war vorbei, ich hatte wieder aktiv werden können.
Mein Kreuz lächelte mich an, als ich mich umdrehte. Es war sehr leicht gegangen, er war sogar lautlos endgültig gestorben, dies wiederum ließ mich hoffen.
Ich drehte mich um. Jetzt waren die beiden anderen an der Reihe, und auch die Serrano-Schwestern durfte ich nicht vergessen.
Das Kreuz hielt ich noch fest. Die Lampe hatte ich wieder verschwinden lassen, aber ich kam nicht dazu, noch einen Schritt zu gehen, denn plötzlich fauchte mich die Frauenstimme an.
»Wirf es weg!«
***
Ich war wirklich wie vom Donner gerührt und konnte im ersten Augenblick nicht mal atmen. Wie eine Statue oder auch wie ein begossener Pudel stand ich auf dem Fleck, aber die Frauenstimme hatte ich mir nicht eingebildet. Es gab sie tatsächlich, und mir fiel ein, daß ich im Überschwang des Kampfes gegen den Blutsauger die Frau leider vergessen hatte.
Da war nichts zu machen. Die Stimme hatte verdammt entschlossen geklungen.
Die Frau stand an der Tür. Wenn ich mich recht erinnerte, war es Olivia Serrano, und sie hielt mit beiden Händen eine Waffe umklammert, die ich sehr gut kannte, es war meine Beretta.
»Sie also, Olivia.«
»Ja, ich.«
»Diesmal ohne Kaffee, wie?«
»Lassen Sie die Scherze, Sinclair. Ich habe es gesehen, ich habe alles gesehen.«
»Dann wissen Sie ja jetzt Bescheid.«
»Und ob ich Bescheid weiß. Ich denke auch, daß wir Sie unterschätzt haben. Sie sind doch kein einfacher Polizist, denn das kann ich nicht glauben. Nein, das sind Sie nicht. Einfache Polizisten laufen nicht mit Silberkreuzen herum.«
»In der Regel nicht, aber einfache Polizisten jagen auch keine Vampire so wie ich.«
»Das ist jetzt vorbei!« erklärte sie.
»Warum?«
»Weil ich es so will!«
»Hören Sie, Olivia, das hier ist kein Spaß. Vampire sind…«
»Nein!« unterbrach sie mich mit schriller Stimme. »Sie hören zu. Ich will, daß Sie dieses verdammte Kreuz wegwerfen! Ich wußte schon zuvor, daß es für Vampire tödlich ist. Sie haben es mir bewiesen, und ich will nicht, daß unsere Pläne durcheinander geraten.«
»Ihre Pläne?«
»Ja, meine!«
»Wie sehen die aus?«
»Weg mit dem Kreuz!«
Ich zögerte. Es mußte doch eine Möglichkeit geben, diese Frau davon zu überzeugen, daß sie den falschen Weg ging, aber sie ließ sich nicht überzeugen, denn plötzlich schoß sie…
***
Ich war so überrascht, daß ich nicht mal zusammenzuckte. Den Abschußknall hatte ich in diesem engen Raum überdeutlich gehört, und ich hatte noch etwas mitbekommen. Die Kugel war so dicht an meinem Kopf vorbeigeflogen, daß sie an meinen Haaren gezupft hatte. Das war verflucht knapp gewesen, und im Nachhinein bekam ich weiche Knie.
»Nun?« höhnte Olivia.
»Himmel«, flüsterte ich. »Sie hätten treffen können.«
Ihr Lachen klang beinahe kindlich, so sehr freute sie sich. »Ja, stimmt. Ich hätte treffen können. Es war der erste und der letzte Warnschuß, Sinclair. Ich habe bewußt so nahe an Ihnen vorbeigeschossen. Wissen Sie, unser Vater hatte sich nur Söhne gewünscht, ›bekam‹ aber zwei Töchter. Was ihn nicht davon abhielt, seine Töchter in bestimmten Dingen wie Söhne zu erziehen. Er brachte uns unter anderem das Schießen bei. Da wir sehr begabt waren, haben wir es auch rasch gelernt.«
»Das kann ich bestätigen«, gab ich zu.
»Sehen Sie. Es war also kein Zufall, daß ich so nahe vorbeigeschossen habe. Ich hätte Ihnen auch ein Loch in den Kopf schießen können. Alles ist möglich.«
»Olivia! Olivia! Ist alles in Ordnung?« Die schrille Stimme ihrer Schwester Amanda drang von oben her in den Keller. »Bist du wirklich okay, Olivia?«
»Ja. Mach dir keine Sorgen!«
»Warum hast du geschossen?«
»Unser Freund, der Polizist, hat sich etwas dumm benommen.«
Damit kam Amanda nicht zurecht. Nach einer kurzen Pause, in der mich Olivia weiterhin bedrohte,
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