0903 - Der Schattenkelch
finstere Ausstrahlung spüren.
Und doch fühlte Zamorra sich bedroht! Die Wolke hatte sich inzwischen auf die Größe einer Faust zusammengezogen und schwebte einen guten Meter vor dem Gesicht des Professors. Wie schon in der Villa schien sie ihn zu belauern. Der Gedanke war lächerlich, aber ihm kam es vor, als wäre dieses Ding unschlüssig, was es als nächstes tun sollte.
Fein, dann sind wir ja schon zu zweit!
Zamorra machte zwei Schritte rückwärts und der Schatten folgte ihm.
»Was bist du?«, fragte er zum zweiten Mal an diesem Tag, erhielt aber wieder keine Antwort. Natürlich nicht!
Er sah hinüber zu den Kühen. Die hatten auch die letzten Reste ihres ohnehin nicht allzu großen Interesses verloren und beschäftigten sich lieber damit, die leckersten Halme der Weide aufzuspüren.
»Und was willst du jetzt machen?«, fragte Zamorra, hätte aber nicht sagen können, ob er damit sich selbst oder den Schatten gemeint hatte. Bewusst hatte er sich dagegen entschieden, das Amulett hervorzuholen, denn Merlins Stern war es ja gewesen, der die Wolke in der Villa in die Flucht geschlagen hatte. Aber hatte er mit dem Verbergen des Amuletts irgendetwas gewonnen? Sicherlich, der Schatten floh nicht, aber allzu aktiv war er auch nicht.
Doch das änderte sich von einem Augenblick auf den anderen!
Der Schatten zog sich noch weiter zusammen - und schoss wie ein kleiner schwarzer Flummi auf Zamorra zu. Der hatte noch den Bruchteil einer Sekunde Zeit, sich einzugestehen, dass er sich von der anfänglichen Trägheit des Nebeldings hatte einlullen lassen, da wurde er auch schon getroffen. Mitten im Gesicht schlug der Schatten auf.
Oder besser: Mitten im Gesicht wollte er aufschlagen, denn kurz bevor es dazu kommen konnte, entschloss sich Merlins Stern dazu, nun doch endlich eine Bedrohung zu erkennen. Wie schon vorhin reagierte das Amulett nicht, indem es wie sonst so häufig einen Schutzschirm um Zamorra legte. Stattdessen schleuderte es ihn erneut mit einem gewaltigen Maultiertritt aus der Gefahrenzone. Mit dem Allerwertesten schlug er nach einigen Metern auf, prellte sich das Steißbein und schlitterte einen weiteren Meter auf der Wiese entlang.
Der Schatten raste ihm nach, doch bevor sie dieses sinnlose Spiel noch ein drittes Mal spielen konnten, rief Zamorra das Amulett. Im gleichen Augenblick erschien es gut sichtbar in seiner rechten Hand. Die Wolke blieb mitten in der Luft stehen und belauerte den Professor erneut.
»So weit waren wir schon einmal«, sagte der und rappelte sich auf. »Meinst du, uns fällt vielleicht auch mal etwas Neues ein?«
Doch der Einfallsreichtum des Schattens schien sich in engen Grenzen zu halten. Immer wieder jagte er auf Zamorra zu, nur um im letzten Augenblick auszuweichen. Er umkreiste den Professor, versuchte es von hinten, von der Seiten, von oben - stets mit dem gleichen Ergebnis: Er kam nicht heran! Zamorra brauchte der Wolke nicht einmal das Amulett entgegenzustrecken. Alleine seine Existenz genügte, den Schatten von dem abzuhalten, was er vorhatte. Was auch immer das sein mochte!
Die Vorstöße wurden wütender, unbeherrschter, zeigten deshalb aber auch nicht mehr Erfolg.
Zamorra war ratlos. Sollte er sich für den Rest seines Lebens von einer substanzlosen schwarzen Wolke umkreisen lassen wie von einem Mond? Es war absurd! Der Schatten versuchte ständig, ihn anzugreifen. Um erfolgreich damit zu sein, brauchte es aber wohl Körperkontakt. Den allerdings verhinderte das Amulett. Gegen den Schatten selbst ging Merlins Stern aber nicht vor. Was sollte Zamorra also gegen das Ding unternehmen, das ihn umschwirrte wie eine lästige Fliege? Er versuchte es mit ein paar Zaubern, zeichnete mit den Händen Figuren in die Luft und murmelte Beschwörungen. Wirkungslos!
Er wollte sich schon damit abfinden, dass er wohl mit dem Schatten im Schlepptau zum Château Montagne fahren musste. Dort könnte er dann versuchen, das Ding mit einem Dhyarra-Kristall oder dem E-Blaster loszuwerden. Da geschah etwas, mit dem er gar nicht mehr gerechnet hatte.
Der Schatten änderte die Strategie! Und er änderte die Form!
Er sank zu Boden und verwandelte sich in eine bizarre Kreatur, die dem Erscheinungsbild jedes Lebewesens spottete. Sie hatte Ähnlichkeit mit einer Mischung aus Hund und Affe, war jedoch gänzlich haarlos. Die Haut war übersät von Pusteln, Kratern und Narben. Aus dem gedrungenen Schädel glotzten Zamorra zwei blutunterlaufene gelbliche Augen an, in denen die Wut über die
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