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0903 - Der Schattenkelch

0903 - Der Schattenkelch

Titel: 0903 - Der Schattenkelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Fröhlich
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ihm?
    Durch einen Schleier aus Schmerzen sah er etwas, das unmöglich wahr sein konnte!
    Das Leben war in die Augen des Clochards zurückgekehrt. Doch diesmal lagen darin nicht Angst und Verzweiflung wie noch vor Sekunden.
    Diesmal zeigten sie Gnadenlosigkeit, aber auch Verwirrung. Der Blick irrlichterte durch die Gegend, als wisse der Kerl nicht, wo er gerade war. Die Augenbrauen waren so weit zusammengezogen, dass sie sich beinahe über der Nasenwurzel trafen.
    Frank Tetien schluckte. Das konnte nicht sein! Der Kerl war so tot gewesen wie ein zwei Tage alter Haufen Hundedreck. Wie konnte er da plötzlich wieder leben? Dabei drückte Tetien ihm doch immer noch die Kehle zu! Allerdings wurde Tetiens Handgelenk inzwischen umfasst von den Fingern des Penners, die, obwohl sie dünn wie die Beine von Weberknechten waren, kräftig genug waren, um Tetiens Knochen zu zerkrümeln. Mit einem zweiten Schmerzensschrei ließ Frank Tetien den Kerl los.
    »Hey, bist du wahnsinnig?«, schrie er. »Das tut weh!«
    Noch bevor er sich richtig versah, hatte der Penner ihn am Sweatshirt gepackt, hochgehoben und gegen die Wand gedrückt. Genau das gleiche Bild wie vorhin, doch diesmal mit vertauschten Rollen. Wobei es ungleich skurriler aussah, wenn ein hageres Männlein in einem zu weiten, schäbigen Parka einen Schrank von einem Kerl hochhob, als wiege der kaum etwas.
    Tetien spürte, wie ihm die Luft wegblieb. »Mann, mach doch keinen Scheiß! War doch alles nur Spaß«, krächzte er.
    Der Clochard achtete nicht auf ihn. Während er weiter zudrückte, drehte er den Kopf ruckartig von links nach rechts und wieder zurück. Die Bewegungen hatten etwas von einem Vogel, der die Umgebung beobachtet.
    Frank Tetien nahm alle Kraft zusammen und drosch dem Penner die Faust ins Gesicht. Er fühlte, wie die Nase des Kerls unter dem Schlag brach und die Oberlippe aufplatzte. Doch als der Clochard wortlos einen Zahn ausspuckte und anschließend mit seinen Vogelbewegungen fortfuhr, schloss Tetien mit dem Leben ab.
    Sein Blick verschwamm, alles wurde unscharf und er hörte nur noch das Rauschen des Bluts in den Ohren. Er versuchte zu atmen, doch die Hand des Penners drückte erbarmungslos zu. Wie ein Fisch an Land öffnete und schloss er den Mund, wollte nach Luft schnappen, doch seine Kehle war dicht.
    Das war's! Aus! Aus und vorbei!
    Bevor er in die ewige Dunkelheit stürzte, war der Druck plötzlich verschwunden. Kaum berührten seine Füße wieder den Boden, sackte er in sich zusammen und rutschte mit dem Rücken an der Hauswand hinab. Gierig sog er die Luft ein. Seine Kehle brannte, als gurgelte er mit Glasscherben, doch das war ihm egal. Luft! Endlich bekam er wieder Luft.
    Aus verquollenen Augen sah er hoch zu dem Clochard. Der hatte mit seinen eigenartigen Bewegungen inzwischen aufgehört. Stattdessen stand er nun mit ausgebreiteten Armen da und sah an sich herunter. Dann betrachtete er seine Weberknechtfinger und befühlte seine kaputte Nase. Schließlich sagte er in einem Tonfall, der mit dem seiner Bettelei und des Gestammels von vorhin keinerlei Ähnlichkeit hatte: »Fantastisch! Wirklich ganz, ganz toll!«
    Er sah noch einmal hinunter zu Frank Tetien, der auf dem Boden kauerte und beim Blick des Clochards zurückzuckte, dann drehte er sich um und ging. Seine gesammelten Besitztümer in der Plastiktüte ließ er zurück.
    Dass es kurz darauf zu regnen begann, registrierte Frank Tetien nicht. Er war nur froh, mehr oder weniger heil aus dieser Sache herausgekommen zu sein. Und er schwor sich: sein Temperament würde er künftig besser im Griff haben!
    ***
    Als Professor Zamorra in die Einfahrt zu Clement Luynes' Anwesen einbiegen wollte, sprang ihm ein Polizist vor den BMW und forderte ihn mit ausgestrecktem Arm zum Halten auf. Das heißt, Zamorra vermutete nur, dass es ein Polizist war, denn falls er eine Uniform trug, wurde die von einem patschnassen Regencape verdeckt. Der Mann trat neben die Fahrertür und bedeutete Zamorra mit einer kurbelnden Handbewegung, die Seitenscheibe herunterzulassen. Da es wie aus Kübeln goss, war Zamorra aber der Meinung, seiner Pflicht mit einem zwei Zentimeter breiten Spalt Genüge getan zu haben.
    »Tag«, brummte der tropfende Mann, »Sie dürfen hier nicht rein.«
    »Mein Name ist Zamorra. Chefinspektor Robin hat mich herbestellt.«
    »Moment!« Der vermeintliche Polizist zog ein Funkgerät aus der Tasche, sprach hinein und bekam eine kratzende, quäkende Antwort, die Zamorra wegen des Prasseins auf dem

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