0903 - Der Schattenkelch
nicht meinem Vater gehört! Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen.«
Dann drehte er sich auf den Hacken um und rauschte davon. Zamorra hörte ihn noch murmeln: »Parapsychologe! Pah! Als würde das was nützen! Will der Vaters Geist beschwören, oder was? Und so einer hat ein Schloss!« Er stiefelte eine Treppe hoch, sah von der Galerie noch einmal hinunter zu Zamorra, schüttelte den Kopf und verschwand hinter einer Tür im ersten Stock.
»Haben Sie wirklich ein Schloss?«, fragte eine leise Stimme links neben dem Professor.
Zamorra wandte sich um und sah sich einer jungen Frau mit weißer Schürze gegenüber. Zwei brünette Locken lugten unter einem ebenfalls weißen Kopftuch hervor. Sie war mindestens einen Kopf kleiner als er.
»Ich bin Valerie, eine der Küchenhilfen«, fuhr sie genauso leise fort. Aus großen Rehaugen warf sie dem Professor scheue Blicke zu.
Zamorra lächelte sie an. »Ja, ich habe ein Schloss. Warum?«
Sie zuckte mit den Schultern und schmunzelte. »Damit haben sie bei ihm « - bei diesem Wort deutete sie mit einer kleinen Kopfbewegung hoch zur Galerie - »einen wunden Punkt getroffen. Er ist eifersüchtig auf jeden, den er nicht mit seinem Reichtum beeindrucken kann.« Sie sah zu Boden und rieb sich die Stupsnase. »Das hätte ich nicht sagen dürfen, wo er doch jetzt mein neuer Chef ist.«
Zamorra zwinkerte ihr zu. »Ich verspreche Ihnen, dass es unter uns bleibt. Wie lange arbeiten Sie denn schon hier?«
»Drei Jahre. Monsieur Luynes… also Clement, der Vater, der… der Tote, er…« Sie schluckte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Er war so ein netter Mann. Er war das genaue Gegenteil von seinem Sohn. Ich habe ihn nie schlecht gelaunt erlebt. Nicht ein einziges Mal. Ich kann nicht glauben, dass er jetzt tot ist! Wer tut so etwas?«
»Ich bin sicher, dass wir das herausfinden werden. Chefinspektor Robin ist ein hervorragender Polizist mit einer sehr hohen Aufklärungsquote.«
»Na ja, wenn Sie meinen.«
»Haben Sie Zweifel?«
Valerie winkte ab. »Nein, nein. Es ist nur…« Sie stockte und lächelte unsicher. »Anscheinend weiß er nicht mehr weiter. Warum sonst sollte er einen Parapsychologen einschalten?«
Zamorra lachte auf. »Robin und ich sind gut befreundet. In manchen Fällen bittet er mich um meine Meinung. Das heißt aber nicht, dass er nicht mehr weiter weiß!«
Wieder sah sie zu Boden. »Ich wollte Ihrem Freund nicht Unrecht tun, aber…«
»Valerie!« Die dröhnende Stimme ging Zamorra durch Mark und Bein. Auch das Küchenmädchen verstummte und wandte sich zur Quelle der Stimme um.
In einer bisher verschlossenen Tür stand eine große, wuchtige Frau. Die linke Hand in die Seite gestemmt, umklammerte sie mit der rechten einen Kochlöffel. Ihr gewaltiger Busen drohte, den weißen Kittel zu sprengen.
»Valerie!«, donnerte sie noch einmal. »Trotz der schrecklichen Ereignisse haben wir unsere Arbeit zu erledigen! Also ab in Küche mit dir!«
»Ja, Madame Rosalie«, rief Valerie. Dann wandte sie sich Zamorra zu. »Die Küchenchefin!«
Der Professor nickte. »Schon klar! Gehen Sie nur.«
Valerie zeigte noch einmal ihr scheues Lächeln, dann ließ sie Zamorra allein. Als er sich zum Arbeitszimmer umdrehte, sah er Pierre Robin im Türstock stehen. Die kalte Pfeife klemmte inzwischen wieder im Mundwinkel des Chefinspektors.
»Ich fürchte, sie liegt gar nicht so falsch!«
»Womit?«, fragte Zamorra.
»Ich weiß wirklich nicht mehr weiter!«
Zamorra grinste. »Soll ich sie noch einmal zurückholen und das richtig stellen?«
»Nein, besser nicht. Was ist mit dieser schwarzen Wolke, die dich angegriffen hat?«
»Verschwunden. Keine Ahnung, wohin!«
»Glaubst du, sie ist gefährlich?«
»Ich fürchte, ja. Es wäre wohl sicherer, Luynes und seine Angestellten in einem Hotel unterzubringen. Nur für den Fall, dass die Wolke zurückkehrt.«
Robin stieß ein freudloses Lachen aus. »Roger Luynes in ein Hotel schicken? Ihn aus seinem Palast vertreiben? Diesen aufgeblasenen Schnösel? Vergiss es! Das lässt der nie mit sich machen!«
»Du solltest es wenigstens versuchen.«
Robin gab einen undefinierbaren Laut von sich, der von Zustimmung über Resignation bis hin zu Magenbeschwerden alles bedeuten konnte.
***
Sie gingen zurück ins Arbeitszimmer. Der Kelch stand noch immer auf dem Schreibtisch. Zamorra angelte das Amulett aus der Jackentasche und hielt es dem Gefäß entgegen. Nichts geschah. Dann tippte er mit einem Finger dagegen, so vorsichtig und
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