0903 - Nächte der Angst
sich dabei sogar gegen seine Regierung, wie er Kate des öfteren nannte, durchgesetzt.
Den Mantel zog er aus, aber ein Kleidungsstück, das gewissermaßen zu seinem Markenzeichen geworden war, behielt er an besser gesagt auf. Es war der Hut, der alte, graue Filz, über den schon Generationen von Polizisten gelästert hatten. Zwar war dieser Vergleich übertrieben aber der Hut war eben zu einer Berühmtheit geworden, und Tanner genoß es auch, wenn darüber gelästert wurde.
Die meisten dachten, daß er nur einen Hut besaß. Es stimmte nicht. Er besaß drei identische, so merkte es niemand, wenn er sie wechselte.
Er schob ihn zurück, stöhnte auf und ließ sich in seinen Schreibtischstuhl sinken, eine Mischung aus Stuhl und Sessel, mit braunem Leder überzogen, das zwar bessere Zeiten erlebt hatte, aber noch immer wunderbar hielt.
Tanner streckte die Beine aus.
Der Hustenanfall erwischte ihn plötzlich. Er hustete und fluchte zugleich. Er bewegte sich dabei heftig vor und zurück, so daß sein Hut beinahe vom Kopf geflogen wäre. Aber er hatte sich an seinen Platz gewöhnt und hielt.
Tanner schlug einige Male mit der flachen Hand auf den Schreibtisch, dann war der Anfall vorbei.
Er verzichtete darauf, seine Zigarre zwischen die Lippen zu stecken, die er eigentlich nie anzündete, und er holte statt dessen aus der rechten Jackentasche eine kleine braune Flasche. In ihr befand sich eine wasserhelle Flüssigkeit, die vom Arzt verordneten Tropfen.
Zehn hatte er schon eingenommen. Jetzt waren die nächsten an der Reihe. Tanner zählte nur bis sieben, denn plötzlich schlug das zweite Telefon auf dem Schreibtisch an. Es war das grüne, das private, denn nicht alle Anrufe sollten über den offiziellen Computer laufen.
Nach dem dritten Tuten hatte Tanner die Tropfen geschluckt. Er kam nicht dazu, sich zu melden, denn seine Frau war schneller. »Wo hast du denn gesteckt?«
»Ich war hier.«
»Fast hätte ich aufgelegt.«
»Ich mußte meine Tropfen einnehmen.«
»Und? Hast du es getan?«
»Fast, es fehlen noch drei, da hat das Telefon geklingelt.«
»Dann nimm sie gleich.«
»Yes, Sir!«
»Hör auf mit den Witzen. Die Tropfen sind wichtig. Du müßtest dich mal hören, wie du in der Nacht im Bett röchelst. Das kann einem richtig Angst einjagen.«
»Du bist ja schon ausgezogen.«
»Das war auch nötig.«
Tanner warf dem Bild der Queen an der Wand einen gottergebenen Blick zu und wechselte den Hörer in die linke Hand. »So«, sagte er, »weshalb rufst du überhaupt an? Vermißt du deine Lockenwickler, Kate? Soll ich sie suchen lassen…«
»Sehr witzig.«
»War nur ein Joke.«
»Es geht um etwas anderes.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Du wirst gleich Besuch bekommen.«
Doch nicht von dir!? Das sagte er nicht, das dachte er nur, denn er kannte die seltenen Besuche seiner Frau, die sich dann immer darüber aufregte, wie mies es in seinem Büro aussah und versuchen wollte, Ordnung in ein geregeltes Chaos zu bringen. Tanner schaute dabei auf die Mappe mit den Berichten seiner Leute. Darin war alles aufgeführt, was in der letzten Nacht geschehen war. Noch lag sie geschlossen vor ihm. Er hätte sie lesen müssen, aber wenn Kate anrief, brannte zumeist der Baum.
»Wer kommt denn?«
»Also ich nicht.«
»Na ja.« Tanner, der im Aussehen an Walter Matthau erinnerte, als dieser noch etwas jünger war, grinste erleichtert, und dabei verschoben sich auch seine Gesichtsfalten. »Wer ist es dann?«
»Alex Preston.«
»Hm.«
»Mehr sagst du nicht?«
»Nein, weil ich nachdenke. Wer ist Alex Preston?«
Kate Tanner stöhnte. »Er ist der Verlobte deiner Nichte Vera. Erinnerst du dich an die Verlobung? Bestimmt nicht, denn damals bist du ja wie so oft zu spät gekommen. Aber Alex und Vera haben sich verlobt und sind es immer noch.«
»Jetzt erinnere ich mich. Was will Alex denn bei mir?«
»Mit dir reden.«
»Über was?«
»Weiß ich nicht, aber seine Stimme hat sich schon angehört, als würden ihn Sorgen quälen.«
»Wollte er nicht Polizist werden?«
»Ja«, bestätigte Kate, »das hat er mir vorhin auch erzählt. Er ist noch in der Ausbildung. Die ersten beiden Jahre hat er bereits hinter sich. Er will in den höheren Dienst, dir wahrscheinlich nacheifern, obwohl ich ihn gewarnt habe. Ich möchte meiner Nichte nicht das gleiche Schicksal zumuten wie mir, aber ich schweife ab. Stell dich bitte auf den Besuch ein.«
»Werde ich machen, Kate. Sonst noch was?«
»Ja, nimm deine Tropfen.«
»Wie du willst,
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