0906 - Das Vermächtnis der Hexe
gehe und er nur eine kleine Kreislaufschwäche erlitten habe. Sein ausgemergeltes Gesicht, die krächzende Stimme und sein wackliger Stand untergruben jedoch seine Glaubwürdigkeit. Nach einigem Hin und Her ließen sich die Sanitäter darauf ein wieder abzuziehen, wenn sie dem Professor vorher den Inhalt einer Spritze in den Unterarm jagen durften.
Tatsächlich ging es Zamorra danach etwas besser.
Er musste den Rettungsengeln in Rot noch versprechen, sich umgehend nach Hause fahren zu lassen und ins Bett zu legen, dann zogen sie ab.
»Was ist denn passiert?«, fragte Nicole.
»Wenn ich das wüsste! Ich habe die Zeitschau gestartet, um herauszufinden, wohin Rhett gegangen ist und konnte sie nicht mehr…« Er unterbrach sich und wandte sich Lady Patricia zu. »Rhett! Ist er wieder hier in der Nähe?«
Patricia schüttelte den Kopf. »Ich hab ihn überall gesucht, aber bei den vielen Menschen ist es aussichtslos! Nicole hat gesagt, er sei in Gefahr!«
Zamorra sah Nicole an und hob eine Augenbraue.
»Fooly hat mir das erzählt«, erklärte Nicole.
»Fooly?«
»Erklär ich dir später. Jetzt müssen wir Rhett suchen!«
»Ich habe ihn in der Zeitschau gesehen!« Er zeigte nach rechts zu einem Zelt. Das Zittern im Arm konnte er immer noch nicht unterdrücken. »Er ist in diese Richtung gegangen.«
»Matthieus Spielzeugparadies«, las Nicole das Plakat über dem Eingang. »Gut, lass uns drinnen nach ihm fragen. Traust du dir das zu?«
Zamorra räusperte sich, dann verzog er das Gesicht. »Nein! Ich bin fix und fertig. Aber ich werde es versuchen!«
Sie gab Zamorra das Amulett zurück, der es einige Sekunden nachdenklich musterte und dann in seine Manteltasche gleiten Heu.
»Na gut«, sagte Nicole. »Dann los. Patricia, du solltest hier draußen warten.«
Lady Patricia atmete tief durch und blies die Wangen auf. Dann stimmte sie aber doch zu. Ihr war bewusst, dass Zamorra und Nicole die erfahreneren Kämpfer waren, falls Rhett tatsächlich in Gefahr war.
Der Professor und Nicole Duval legten die vielleicht fünfzig Meter bis zum Spielzeugzelt zurück. Alle paar Schritte musste Nicole den Meister des Übersinnlichen stützen.
»Geht schon«, sagte der dann immer und versuchte umso verbissener, sich keine Schwäche anmerken zu lassen.
Als sie den Zelteingang erreichten, wartete dort eine Überraschung auf sie: Vor dem breiten Portal war eine Plane zugezogen worden, an der ein Schild hing.
»Geschlossen«, las Nicole vor. »Merkwürdig. Hast du Rhett das Zelt wieder verlassen sehen?«
Zamorra schüttelte den Kopf. »Ich habe ja nicht einmal gesehen, dass er hineingegangen ist. Nur, dass er in diese Richtung verschwunden ist.« Er machte eine kurze Pause. Das Sprechen strengte ihn immer noch an. »Vielleicht ist er auch umgekehrt, als er das Schild entdeckt hat. Aber wir sollten trotzdem mal nachsehen.«
Nicole übernahm das Kommando. »Ich gehe mal außen herum, ob es einen Hinterausgang gibt. Du wartest hier und erholst dich noch etwas.«
Zamorra verzog das Gesicht. »Ja, Chef!«
Ein paar Minuten später kehrte sie zurück. »Nichts. Da hinten ist nur noch so etwas wie ein Anbau, der durch einen Gang mit dem Hauptzelt verbunden ist. Der hat aber auch keinen eigenen Ein- oder Ausgang.«
Der Professor ging den letzten Schritt bis dicht vor die Plane.
»Hallo?« Noch immer klang er, als hätte er eine Krähe verschluckt. »Ist jemand da drinnen? Können Sie uns bitte reinlassen? Wir müssten Sie etwas fragen.«
Er erhielt keine Antwort.
Nicole drückte gegen die Plane.
»Hängt nur davor«, murmelte sie. »Ist total ungesichert. Da ist doch etwas faul! Kein auch nur halbwegs vernunftbegabter Geschäftsmann schließt seinen Laden, wenn draußen so viel potenzielle Kundschaft herumläuft!«
»Oder potenzielle Diebe und Einbrecher«, ergänzte Zamorra.
»Stimmt!«
Nicole schob ihren Kopf an der Plane vorbei und lugte ins Innere des Zelts. »Hallo? Rhett? Bist du da drin?«
Als auch sie keine Antwort bekam, drückte sie den Rest ihres Körpers durch den Spalt zwischen Zeltwand und Eingangsplane. Zamorra folgte ihr.
Drinnen erwartete sie eine andere Welt. Auf unzähligen Tischen standen Puppenstuben, Kaufläden, Kinderküchen, Ritterburgen, Holzeisenbahnen. Dazwischen ragten hohe Regale auf, die vollgestopft waren mit Stoffpuppen, Kreiseln, Murmeln oder Zinnsoldaten. Eine wahre Fundgrube - allerdings für Antiquitätensammler, nicht für Kinder! Das einzig Moderne war ein Tisch, auf dem sich völlig
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