0907 - Die blutenden Bäume
seine Hände noch immer gegen das Gesicht gepreßt hielt und damit auf- und abfuhr, als wollte er das Blut besser verteilen. Um seine Besucherin kümmerte er sich nicht, und diese Chance mußte sie einfach nutzen.
Nichts hielt sie mehr auf, und sie fragte sich, wie rasch sie es wohl schaffte, in ihre Kleidung zu fahren. Es würde sicherlich dauern, und sie konnte nur hoffen, daß der andere lange genug durch seine eigenen Probleme abgelenkt war.
Auf die Strumpfhose wollte sie verzichten. Sie schlüpfte in den Slip, die Schuhe standen bereits, der kurze Rock, das Oberteil, dann die Jacke.
Nur den Mantel und die Handtasche mußte sie noch raffen. Die Tasche stand auf einem Stuhl, der Mantel hing über der Lehne.
Leider konnte sie das heftige Atmen nicht unterdrücken. Das Geräusch mußte auch von Raskin gehört werden.
Er saß auf dem Bett und kümmerte sich nur um sich selbst. Elke war froh darüber, sie hastete auf den Stuhl zu, riß Mantel und Tasche an sich und wünschte sich schon jetzt, daß sie diesen Kerl nie, aber auch nie mehr zu Gesicht bekam. Das war kein Mensch mehr, das war schon ein verfluchtes Monstrum auf zwei Beinen.
Trotzdem mußte sie ihn im Auge behalten. Es drang jetzt etwas mehr Licht in den Raum, denn Raskin hatte, nachdem er sich vom Fenster auf das Bett zubewegt hatte, den Vorhang nicht mehr so dicht geschlossen.
Ein relativ breiter Lichtstreifen drang in das Zimmer und strich auch über das Bett hinweg, wo er saß.
Seine Hände sanken plötzlich nach unten.
Genau in diesem Augenblick hatte Elke hingeschaut und mußte mit ansehen, wie der Mann aussah.
Er hatte kein normales Gesicht. Überall klebte das Blut, und Raskin hielt den Mund geöffnet, während Knurrlaute über seine Lippen drangen. Die Augen schimmerten heller als gewöhnlich, fast waren es die eines Raubtieres, und er flüsterte Worte, die Elke nicht begriff. »Es hat mich stark gemacht, so stark. Andere werden gesund, werden geheilt, mich aber hat es gestärkt. Komm her!«
»Nein!« Ihre Stimme kippte fast über. Elke wollte nicht mehr, daskonnte niemand von ihr verlangen. Und sie war auch nicht bereit, die drei Hunderter zurückzugeben. Sie sah sie als Entschädigung für den Schrecken und die Schmerzen an. Außerdem war dieser Mann für sie kein Mensch mehr. Der stand schon beinahe auf der Stufe mit einem Tier.
»Los!« schrie er.
Elke riß die Tür auf. Sie hatte sich trotz ihrer Angst noch so gut in der Gewalt, daß sie nicht schrie. Heftig schlug sie die Tür zu und eilte zur Treppe. Der Atem wollte ihr stocken. Alles in ihr war eingefroren. Sie fühlte sich schon längst nicht mehr als Mensch, sie war mehr eine Marionette, die unter den Befehl einer anderen Person geraten war.
Elke stolperte die Treppe hinab, krallte sich immer wieder am Geländer fest, nahm manchmal zwei Stufen auf einmal und atmete auf, als die Treppe hinter ihr lag. Sie hatte sogar die Nerven, kurz stehenzubleiben und zurückzuschauen.
Raskin tauchte dort nicht auf. Daß sie seine Gestalt da oben nicht sah, gab ihr einen Push. Diesmal einen positiven. Sie glaubte daran, es geschafft zu haben, und ein erstes Lächeln huschte über ihre Lippen.
Verdammt, das Leben hatte sie abgehärtet, und dies bewies Elke, die noch immer auf der Treppe stand.
Aus dem Gastraum hörte sie Männerstimmen. Sie wollte den Raum dort nicht durchqueren, um lästigen Fragen auszuweichen. Es mußte doch einen anderen Ausgang geben.
Sie schaute sich um.
Ja, da war noch eine Tür, aber sie führte in einen Vorratsraum, wie die Frau sah.
Also doch durch die Kneipe.
»Reiß dich zusammen!« flüsterte sie sich selbst zu und zog den dünnen Mantel über.
In der Kneipe war ein Tisch besetzt. Bauarbeiter saßen dort und machten Pause. Sie aßen, tranken und schauten auf, als die Frau den Raum betrat.
Elke lächelte schal, und sie war froh, als der Wirt sie fragte, ob alles in Ordnung war.
Die Frau blieb sogar stehen. »Ja, wir sind zurechtgekommen. Fritz ist noch oben.«
»Schon gut. Schönen Tag noch.«
»Danke und tschüs.«
Dann war sie weg, hineingegangen in die warme Luft des Mittags, ohne sich um die Blicke der männlichen Gäste zu kümmern. Sie ging zu ihrem Polo, der unbedingt einen neuen Auspuff brauchte, startete den Wagen und hörte schon bald das Knattern, was ihr nichts ausmachte. Wichtig war, daß sie diesen verdammten Ort verließ. Nur weg aus diesem Kaff!
Weg, weg und weg…
***
Wir waren von Süden gekommen und hatten die Autobahn Nürnberg
Weitere Kostenlose Bücher