0907 - Die blutenden Bäume
und sich irgendwo verstecken, sondern zu den Bullen rennen und das Maul aufmachen. Sie würde sprechen, sie würde erzählen, was sie erlebt hatte, und wenn sie es immer wieder behauptete, würden ihr die Bullen auch glauben.
Daß er seinem Haß keinen freien Lauf ließ, lag allein an einem neuen Blutschub, der sich diesmal nicht nur auf seine Stirn beschränkte. Blut rann aus der Nase in die Handflächen, tropfte Und spritzte zu Boden.
War das sein Blut?
Ja und nein, denn es hatte sich mit dem vermischt, das er von den Baumrinden abgeleckt und getrunken hatte. Es hatte sich in seinem Innern ausgebreitet und wahrscheinlich die Kontrolle über das echte Menschenblut bekommen.
Wie dem auch war, eine genaue Antwort fand er nicht. Er wollte auch nicht danach forschen, sondern erst einmal von hier verschwinden und sich im Wald verstecken.
Die Bäume lockten ihn. Die blutenden Birken waren für ihn wie ein Magnet. Er hatte ja von ihrer wundersamen Kraft gehört. Angeblich konnte der aus den Baumrinden rieselnde Saft heilen, wie Eingeweihte ihm berichtet hatten. Es klappte wohl nicht bei allen Menschen, zumindest bei ihm nicht. Da kehrten sich die Kräfte des Blutes um. Sie drängten ihn in eine andere Richtung, machten ihn gewalttätig und gleichzeitig auch kraftvoll. Er hätte es auch akzeptiert, wenn nicht dieser verfluchte Überschuß vorhanden gewesen wäre, der sich hin und wieder freie Bahn verschaffen mußte.
Er schaute auf die Bettdecke.
Natürlich hatte sie etwas abbekommen. Das Zimmermädchen würde natürlich Fragen stellen, zu seinem Chef laufen und…
Es war ihm egal.
Mit einer wuchtigen Bewegung schwang er sich aus dem Bett. Die Nutte war weg, er würde sie nicht mehr zurückholen können, also mußte er sich mit anderen Dingen beschäftigen. Er mußte sich dringend waschen.
Er riß die Tür zur kleinen Dusche auf. Zwischen den Wänden schwebte der Dampf noch wie dünner Nebel. Der Spiegel war beschlagen. Er rieb ihn in der Mitte frei, konnte sich sehen und hatte das Gefühl, einen Stich in den Magen zu bekommen. Nie zuvor hatte er sich so vor seinem eigenen Anblick erschreckt, an diesem Tag war es der Fall. Denn da sah er aus wie ein Monstrum.
Das blutverschmierte Gesicht. Blutflecken auf Brust und Beinen.
Die Dusche war nötig.
Er kletterte in die enge Kabine und griff zu dem kleinen Stück Seife, um sich abzuwaschen.
Er arbeitete gründlich, war aber doch rasch fertig. Mit einem feuchten Handtuch trocknete er sich ab, warf es dann in die Ecke und baute sich wieder vor dem Spiegel auf.
Wo war das Blut?
Nicht mehr da. Es gab kein Blut. Er hatte es aus dem Gesicht ebenso entfernt wie von seinem Körper. Plötzlich fühlte er sich erleichtert, er hatte es geschafft.
Aber wie lange? Andere Gedanken quälten ihn. Er wußte, daß etwas in ihm steckte, das er nicht begriff, mit dem er aber fertigwerden mußte.
Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt. Lag es allein an dem fremden Saft in seinem Körper?
Nichts wissen, nichts sehen, nichts hören davon. Erst einmal um sich selbst kümmern.
Raskin verließ die Dusche und zerrte die Vorhänge zur Seite. Licht flutete in den Raum, nicht mehr so hell wie noch vor einer Stunde, aber es reichte aus, um ihn zu blenden. Er wollte auf keinen Fall länger in diesem Hotel bleiben. So rasch wie möglich packen und dann schnellstens verschwinden.
Der Koffer stand neben dem Schrank. Viel hatte er nicht aus ihm herausgenommen. Er warf ihn auf das Bett, klappte ihn auf und sammelte seine Sachen zusammen.
Aus dem Bad hatte er den Kosmetikbeutel mitgebracht. Er stopfte ihn zwischen die Kleidung, die noch von der letzten Nacht dreckig war. Er hatte sich vor dem Erreichen des Hotels im Auto umgezogen, so war er nicht aufgefallen.
Ersatzschuhe besaß er nicht. Auf diese Schuhe aber würde kaum jemand schauen, deshalb schlüpfte er wieder zurück in seine schmutzigen Treter.
Er klappte den Koffer zu, ein letzter Blick in die Runde, vergessen hatte er nichts, und an dem Blut störte er sich auch nicht. Er würde es sicherheitshalber mit Nasenbluten erklären und auf die Rechnung eine Summe zum Zwecke der Reinigung legen.
Dann nahm er den Schlüssel, verließ das Zimmer und ging nach unten.
Er wollte in der Gaststätte zahlen, weil sich der Wirt dort zumeist aufhielt.
So war es auch diesmal. Außer ihm befanden sich noch vier Arbeiter im Raum. Sie saßen an einem runden Tisch zusammen und hatten bereits gezahlt, denn sie standen im Begriff, sich zu erheben. Auch
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