0908 - Das Golem-Trio
Rache!
Klar, er hatte nicht vergessen, was ich ihm angetan hatte. Und er hatte so lange gewartet, bis ich mich in einer relativ wehrlosen Lage befand.
Allmählich hatte ich mich wieder etwas beruhigt und den ersten Schrecken zurückgedrängt. Ich war nicht der Typ, der sich an seiner eigenen Furcht hochzog, dafür hatte ich eigentlich zu viel schon erlebt, und so versuchte ich nachzudenken und mich in die Lage des teuflischen Kunstgeschöpfes zu versetzen.
Was konnte Cigam vorhaben? Und eine weitere Frage baute sich ebenfalls auf. Mit welcher Macht war er ausgestattet?
Ich kannte ihn, aber nicht gut genug. Er war ein Freund der lebenden Leichen, der Zombies, doch damit kam er nicht mehr weiter. Diese Zeiten waren einfach vorbei. Heute reagierte das Böse subtiler, aber bestimmt nicht ungefährlicher. Dabei ebenso brutal wie schon immer. Es kannte und nahm keine Rücksicht. Menschen waren nicht mehr als Spielbälle, und genau dagegen hatte ich mich immer gewehrt.
Cigam hatte es geschafft, zu telefonieren. Mit dieser Tatsache begann ich meine Überlegungen. Er hatte zudem gewußt, wo ich mich befand.
Ich brauchte nicht darüber nachzugrübeln, wer ihm diese Information verschafft hatte, jemand wie er wußte das einfach, besonders dann, wenn er mich auf die Liste gesetzt hatte.
Für ihn war ich wehrlos. Das hatte er mir durch seinen Erstkontakt zu verstehen gegeben, und ich dachte natürlich darüber nach, wie es weitergehen würde.
Ich befand mich in einem Flugzeug auf der Reise von Frankfurt nach London.
Völlig normal, herrliches Flugwetter, keine Turbulenzen, deshalb auch keine Gedanken an irgendwelche Unregelmäßigkeiten. Man hätte sich sehr sicher fühlen können.
So sah die erste Realität aus. Es gab leider noch eine zweite, die unter der ersten verborgen lag. Und diese hieß eben Cigam, der durchaus in der Lage sein konnte, aus dem normalen Clipper einen fliegenden Sarg zu machen, denn Rücksicht kannte er nicht. Er würde andere Passagiere opfern, um an mich heranzukommen, mit welch geheimnisvollen Methoden auch immer. Er war derjenige, der die Gunst des Bösen genossen hatte. Die andere Macht ließ ihm bei seinem Tun einen großen Freiraum.
Der Gedanke erschreckte mich. Schweiß legte sich auf meine Stirn. Der Gedanke an Cigam ließ mich nicht mehr los. Ich stand auf und schaute mich in der fast leeren ersten Klasse um.
Dem Glatzkopf war meine Bewegung aufgefallen. Sein Kopf, der bislang nach vorn gesunken auf der Brust lag, ruckte hoch.
Unwillig und beinahe schon böse starrte er mich an. Dann verengte er die Augen und fragte flüsternd: »Wo kommen Sie denn her, Meister?«
»Von draußen bestimmt nicht.«
»Witzig, sehr witzig. Haben sie sich in diese Klasse hier verlaufen? So wie Sie aussehen, gehören Sie eigentlich nach hinten.«
Ich hätte diesem arroganten Kerl am liebsten die Faust ins Gesicht geschlagen, riß mich aber zusammen, denn ich wußte schließlich, was sich gehörte.
»Keine Sorge, ich werde ihren Dunstkreis bald wieder verlassen.«
»Das ist gut.«
»Was stört Sie eigentlich an mir?«
»Nehmen Sie das nicht persönlich, aber meine Begleiterin braucht Ruhe. Sie ist eine begnadete Sängerin, sie muß regenerieren, denn sie wird in zwei Tagen in London die Lucia di Lammermoor singen, eine Rolle, die ihr alles abverlangt.«
»Das weiß ich. Stammt aus dieser Oper nicht die berühmte Wahnsinnsarie?«
»In der Tat.« Es überraschte den Knaben, daß ich es wußte.
»Dann geben Sie nur acht, daß Sie nicht noch wahnsinnig werden, Mister.«
Ich sagte es mit einem väterlichen Lächeln.
Der Glatzkopf war so perplex, daß er mir keine Antwort geben konnte, Zumindest nicht sofort. Ich hörte seine zischenden Worte in meinem Rücken, als ich wieder in die zweite Klasse marschierte und schon beim ersten Blick feststellte, daß sich nichts verändert hatte.
Alle Passagiere saßen ruhig auf ihren Plätzen. Nur einige schauten hoch, als ich auftauchte und kurze Zeit später hatte ich wieder meinen Platz eingenommen.
Ich atmete tief durch und wünschte mir das Ende des Fluges herbei.
Ziemlich düster starrte ich durch das Fenster in den blauen Himmel, als zeichnete sich in dessen Weite die Lösung meines Falls ab.
Da war nichts zu sehen.
Wozu war Cigam noch in der Lage? Konnte er es schaffen, hier und in meiner Nähe aktiv einzugreifen? Verfügte er über die Gabe der Materialisation? Würde er sich in die Maschine hineinbeamen können?
Auf diese Frage wußte ich keine
Weitere Kostenlose Bücher