0910 - Blutliebe
Platz aus. Der linke Fuß ruhte noch immer auf dem Hocker. Mochte die Schwellung auch zurückgegangen sein, Jane war trotzdem nicht in der Lage, sich normal zu bewegen. Sie wollte noch nicht schießen, denn ihr fehlte der endgültige Beweis für ihre Annahme, und so wartete sie ab.
Kendrake hatte die Hände wieder sinken lassen. Er war innerlich auch so weit gefestigt, daß er seine Tochter wieder anschauen konnte. Er mußte deren Veränderungen einfach registrieren, nur ging er mit keinem Wort darauf ein. Er starrte sie nur an.
Romana genoß ihren Auftritt. Sie lächelte dünn, als sie ihren Kopf bewegte und dann mit dem Rollstuhl ein kleines Stück zurückglitt, um einen besseren Blickwinkel zu bekommen.
»Habt ihr auf mich gewartet?« fragte sie.
Schweigen!
»Warum sagt ihr nichts?«
Jane hatte nun antworten wollen, doch Sir Walter Kendrake kam ihr zuvor. »Romana!« keuchte er.
»Romana, du bist es. Ich, ich weiß nichts mehr, gar nichts.« Er machte Anstalten, sich aus dem Sessel zu erheben, schaffte es aber nicht und fiel wieder zurück. »Was ist denn geschehen? Wo bist du gewesen?«
Er hatte mit ihr gesprochen, als hätte sich im Gegensatz zu früher nichts verändert. Entweder begriff er wirklich nichts, oder aber er wollte einfach die Tatsachen nicht wahrhaben. Dagegen mußte Jane Collins etwas tun.
»Sie ist nicht mehr die von früher!«
Kendrake drehte den Kopf. Sein Blick war böse und wütend. »Wie können Sie das sagen? Sie sehen doch, daß sie in ihrem Rollstuhl sitzt.« Er lachte seltsam schrill. »Sie hat einen Ausflug gemacht. Ja, meine Tochter hat das Haus verlassen, um sich im Park und in der Umgebung umzuschauen, das ist doch normal, nicht?« Er wandte sich wieder an seine Tochter. »Das stimmt doch - oder?«
»Vater!« sagte sie mit einer neutral klingenden Stimme. »Ich glaube, du hast es nicht begriffen.«
»Was habe ich nicht begriffen?«
»Mich!«
»Dich?«
»Ja!«
Kendrake kam nicht mehr weiter, und auch Jane hatte beschlossen, noch nicht entscheidend einzugreifen. Das hier war ein Dialog zwischen Vater und Tochter, und sie wußte, daß er sich noch ausdehnen und Sir Walter Kendrake die gesamte Wahrheit erfahren würde.
Noch sah er aus wie jemand, vor dessen Kopf sich das berühmte Brett befand. Er hatte das Glas zur Seite gestellt, seine Hände umklammerten die Vorderenden der beiden Lehnen, als wollte er im nächsten Moment in die Höhe schnellen.
»Ich bin wieder da, Vater!«
»Gut, ja, gut…«
Romana hob eine Hand. Sie strich durch ihr schmutziges Blondhaar, lachte dabei heiser, und dann tat sie etwas, das ihren Vater bis in die Grundfesten hinein erschütterte.
Sie stand auf!
Romana tat es nicht ruckartig oder schnell, sondern so, als würde sie irgendwelche Regieanweisungen befolgen. Sehr langsam, gemächlich, damit es auch jeder im Raum mitbekam.
Greta, die hinter Jane stand, atmete keuchend. Sie konnte es ebenfalls nicht fassen, doch Jane Collins wurde durch diese Tat allmählich klar, weshalb Romana Kendrake letztendlich auf den Vampir gehofft hatte. Er hatte ihr sicherlich versprochen, daß sie sich wieder würde normal bewegen können, und dies war nun eingetreten. Ihre Lähmung war verflogen, sie stand da wie ein völlig gesunder Mensch und schien sich über den Blick ihres Vaters zu freuen, der noch immer nicht begriff, was hier ablief.
Romana kostete die Situation aus. Sie ging einen Schritt zur Seite, den nächsten wieder nach vorn, trat dann zurück, drehte sich, und es war nicht die Spur einer Behinderung bei ihr festzustellen. Sie bewegte sich so sicher wie jeder andere Mensch auch, was für Sir Walter Kendrake einem Wunder gleichkam. Er schaute seine Tochter an und wirkte irgendwie geblendet.
Vor ihm blieb sie stehen. »Du sagst ja nichts, Vater…«
Mit einer hilflosen Bewegung hob Kendrake die Schultern. Er war nicht fähig, einen Kommentar abzugeben. Obwohl er alles sah, war für ihn eine Welt zusammengebrochen. Zudem spürte er ein Gefühl der Furcht, was sich auch durch die Gänsehaut auf seinem Gesicht abzeichnete. »Ich kann es nicht fassen!« hauchte er schließlich.
»Aber ich, und ich wollte es so.«
Er nickte.
Sie ging auf ihn zu. »Du glaubst es immer noch nicht, Vater, das sehe ich dir an. Willst du mich nicht anfassen, berühren? Willst du keinen Kontakt mit mir haben? Ich möchte deine letzten Zweifel beseitigen, Vater. Bitte!« Romana streckte ihm ihren rechten Arm entgegen und bewegte dabei ihre Finger, als wollte sie in
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