0910 - Blutliebe
Sie waren ihm während des ersten Schlafs gewachsen. Er würde sie wie Messer in die Haut stoßen können, dann würde der Saft in seinen weit geöffneten Mund sprudeln.
Krishan beugte sich vor. Er zitterte leicht. Die Gier sorgte dafür - und er schrak plötzlich zusammen.
Sein sensibles Gehör hatte etwas vernommen. Laute, die einfach nicht hierher paßten. Auch den Klang von Stimmen?
Kam jemand?
Aus seinem Mund drang ein leises Knurren. Er war böse, man wollte ihn stören.
Noch kniend drehte er sich.
Dabei fiel sein Blick auf die Maschinenpistole, die in Griffweite neben dem Bewußtlosen lag.
Die Erinnerung war noch nicht verloschen. Er wußte, wie man mit dieser Waffe umging.
Krishan nahm sie hoch. Er blieb in seiner knienden Haltung direkt neben seinem Opfer und sah aus wie jemand, der die Beute bis zur letzten Kugel verteidigen wollte.
Er starrte nach vorn.
Bäume verdeckten einen Teil der Sicht. Ebenso wie die dünnen Schwaden, die manchmal wie Tücher zwischen den Stämmen hingen oder kleine Wolken bildeten.
Aber die Stämme waren starr und bewegten sich nicht. Vor ihm bewegte sich trotzdem etwas.
Keine Baumstämme, Menschen.
Blut!
Er lachte leise und hob die Waffe an. Dabei hielt er sie leicht gekippt oder schräg.
Dann schoß er!
***
»War da was?« Jane Collins hatte die Frage gestellt. Sie wechselte den Blick und schaute nicht mehr auf ihren Fuß, den sie zu bewegen versucht hatte. Jetzt richtete sie ihren Blick auf das Fenster, doch dort tat sich nichts.
Kendrake war durch ihre Bemerkung hochgeschreckt. Er hatte gedankenverloren in sein Glas gestarrt. Nun hob er den Kopf und blickte Jane Collins an.
»Wieso? Was denn?«
»Ein Geräusch, aber draußen.«
»Welches denn?«
»Hat sich angehört wie Schüsse.«
Kendrake hob die Schultern. »Ich habe nichts gehört«, sagte er leise. »Sie Greta?«
Die Angesprochene nickte. »Ja, das ist schon komisch gewesen. Ein Knattern.«
»Schüsse!« erklärte Jane.
Kendrake war unsicher geworden. In seinen Augen schienen Lichter zu tanzen. »Aber wer sollte denn hier geschossen haben?«
»Ihr Leibwächter.«
»Das wäre doch gut, Miß Collins!« stieß Kendrake nach einem Moment des Nachdenkens hervor.
»Dann hätten sie die Blutsauger erwischt. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen…«
»Blutsauger sind nicht mit Standardwaffen zu vernichten.«
»Und das ist keine Legende?«
»Nein!«
»Ich glaube, da kommt jemand!« Greta hätte nur leise gesprochen, aber die Stimme war für Jane und auch für Kendrake gut zu hören gewesen. Sie schauten die Frau an, die sich in ihrem Sessel gedreht hatte und nun zur Zimmertür blickte.
Sie stand offen, aber der schmale Spalt reichte nicht aus, um in den Gang sehen zu können.
Jane holte ihre Waffe aus der Handtasche und legte sie auf ihren Schoß. Plötzlich war alles anders geworden. Keiner von ihnen sprach mehr ein Wort. Die Spannung hatte die Anwesenden innerlich vereisen lassen. Sie hockten da, die Blicke zur Tür gerichtet und warteten darauf, daß etwas passierte.
Ein zumindest für Jane ungewöhnliches Geräusch drang durch den Spalt in das Arbeitszimmer. Es war ein leises Summen. Etwas mußte über den Boden oder durch die Luft gleiten und sich immer mehr der Tür nähern. Sie weiter aufzuziehen, würde ein Kinderspiel sein.
Sekunden später passierte es.
Der dumpfe Laut außen an der Tür, die daraufhin sofort nach innen schwang. Jemand kam - nein, er fuhr.
Es war eine blonde Frau im Rollstuhl. Sie trug ein völlig verschmutztes Nachthemd.
Sir Walter Kendrake faßte sich als erster, obwohl er es nicht schaffte, von seinem Sessel aufzustehen.
»Romana…«, stöhnte er und preßte seine Hände gegen den Kopf, als sie in dem Rollstuhl näher kam.
***
Sie war es, und sie hatte gestoppt. Ihr Gesicht zeigte ebenfalls Schmutzspuren, doch auch sie konnten die Blässe und die veränderte, jetzt wie Teig wirkende Haut nicht überdecken. Möglicherweise war der Bund zwischen Vater und Tochter noch zu intensiv, so daß Kendrake deshalb der klare Blick versperrt blieb, aber Jane Collins wußte, was mit dieser Person geschehen war. Romana war nicht mehr als Mensch zu ihrem Vater zurückgekehrt, sondern als Blutsaugerin.
Auch Greta tat nichts. Sie stand ebenso unter Schock wie ihr Arbeitgeber, und sie schlug hastig ein Kreuzzeichen, was Romana mit einem widerlichen Grinsen quittierte.
Jane Collins hatte ihre rechte Hand um den Griff der Pistole gelegt. Wenn sie eingriff, dann von ihrem
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