0910 - Der Totflüsterer
den Fingern.
Logan lächelte und wagte es, seinen rechten Arm bewegen zu wollen.
Es gelang nicht! Das Lächeln auf seinen Lippen zersprang unter dem Ansturm neuerlicher Angst.
Er öffnete die Augen und sah jemanden vor sich stehen.
Logan riss den Mund auf, um einen Schrei auszustoßen, doch es drangen nur weitere Dunstschwaden daraus hervor.
Er konnte den Fremden zunächst nur undeutlich erkennen, doch dann verdichteten sich die menschlichen Umrisse zu einem hünenhaften Körper, auf dessen Hals ein unförmiger Kopf saß.
Tatsächlich musste der Ankömmling viel größer als Haskell sein, und der gehörte schon zu den höchstgewachsenen Männern in der näheren Umgebung.
Der Atem des Jungen ging schnell und stoßweise. Schwefeliger Gestank drang in seine Nase.
Was für eine Ausgeburt des Verderbens stand da vor seinem Lager?
Logan fand darauf keine Antwort, konnte nur weiterhin auf die hünenhafte Gestalt blicken und wurde mehr und mehr von seiner Angst aufgefressen.
Der Hüne beugte sich langsam, quälend langsam vor. Gerade so, wie sich Logans Mutter immer vorbeugte, um ihm eine gute Nacht zu wünschen und ihn zu küssen, nachdem er unter die Decken gekrochen war.
Der Kopf des Fremden näherte sich ihm. Logan vermochte jetzt Einzelheiten seines Antlitzes zu erkennen.
Ihm fehlte die Nase, gerade so als habe eine verderbliche Krankheit sie aus dem Gesicht gefressen und stattdessen zwei senkrechte, schwarze Schlitze geschaffen, die unentwegt pulsierten.
Darunter erkannte Logan spröde und rissige Lippen, an denen abgestorbene, braune Hautfetzen hingen.
Besonders auffällig war, dass die Unterlippe des Fremden in der Mitte gespalten war und nach links und rechts herunterhing.
Trotz dieser Verunstaltung, die von einer schweren Verletzung herrühren mochte, schien es so, als wäre der Mund zu einer Art von schiefem Grinsen verzerrt, was Logan noch zusätzlich ängstigte.
Sein Blick wanderte weiter hoch und unter schwarzen fettigen Haarsträhnen, die lang und wirr vom unförmigen Kopf herunterhingen, entdeckte er die Augenhöhlen des Unheimlichen.
Augen konnte Logan nicht entdecken, stattdessen entsetzte ihn der Anblick von gelblich schimmernder Haut, die die Augenhöhlen überzogen hatte und in ständiger Bewegung war, als kröchen dort Dutzende von Würmern, die verzweifelt einen Weg ins Freie suchten und drohten, jederzeit hervorzubrechen.
Im selben Moment, da Logan diese Erkenntnis gewann, begannen sich die Lippen des Fremden zu bewegen und formten ein einzelnes Wort, das vor Heiserkeit flüsternd zwischen unregelmäßig geformten braunen Hauern hervorgepresst wurde, ebenso wie sämiger Speichel, der an einem breiten Kinn in die Tiefe rann.
» Erbfolger! «
Logan erschauderte. Er hatte das Wort schon von seiner Mutter und den Leuten aus dem Dorf gehört, wusste aber nicht, was es bedeutete oder weshalb der Fremde ihn so nannte. Gleichzeitig spürte er in seinem Inneren, irgendwo tief unter der in ihm wogenden Kälte aus Furcht, einen kurzen Impuls des Erinnerns.
»Ich habe noch große Dinge mit dir vor.«
Logan tauchte aus der Tiefe des kurzen Erkennens empor, spürte die Angst nun mit doppelter Stärke und fühlte, wie ihm langsam etwas über die linke Wange strich.
Es war ein Finger, der über die zarte Haut des Jungen glitt und in dessen Berührung fast etwas Liebkosendes lag.
»Schlaf und sammle Kraft«, wisperte die Stimme des Unheimlichen. Es war gerade so, als entzöge die Berührung Logan die notwendige Energie, um wach zu bleiben.
Bleischwer sanken seine Augenlider herab und verdrängten das Bewusstsein des Jungen.
Er kehrte zurück in die Welt der Träume.
Doch die letzten Worte des Unheimlichen begleiteten ihn.
»Auf baldiges Wiedersehen!«
***
»Monsieur Pereire? Monsieur Pereire!«
Agamar ließ Pereires Körper anhalten, als er den Ruf hinter sich hörte. Er drehte sich um, konnte den Rufer aber nicht entdecken.
»Hier oben!«
Agamar hob Pereires Kopf und sah auf der Galerie einen Mann in einem weißen Anzug, der ihm zuwinkte. Daneben stand eine Frau, die ebenfalls herunterglotzte. Agamar stellte mit Belustigung fest, wie stark Pereires Lustzentrum auf die Frau reagierte.
»Könnten Sie bitte einen Augenblick warten? Ich muss mit Ihnen reden!«
Wer war das? Was wollte er von ihm?
Der Mann im weißen Anzug winkte ihm noch einmal zu - und Agamar spürte die Gefahr, die von ihm ausging. Eine magische Ausstrahlung!
Ein Weißmagier? Hier? Undenkbar!
Dennoch nahm er sich
Weitere Kostenlose Bücher