Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0911 - Nachtgestalten

0911 - Nachtgestalten

Titel: 0911 - Nachtgestalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
Vom Netzwerk:
Kinder kümmern. Der kleine Curdin mit der Mandel-OP ist wach, und gerade der sollte die Nacht doch noch durchschlafen. Mit vier Jahren steckt man so einen Eingriff nicht einfach so weg!«
    Dann geht der Arzt kopfschüttelnd, und als sich Beatrice umdreht und durch die Fensterscheibe hinaus auf den Krankenhausflur und in das gegenüberliegende Zimmer blickt, in welchem der Patient liegt, sieht sie, wie der kleine Luc, der sie heute Nachmittag nahezu zur Weißglut getrieben hat, aufrecht in seinem Bettchen steht. Sie hatte ihm ein Beruhigungsmittel gegeben, um ihn endlich zum Schlafen zu bringen. Und jetzt… Luc sieht sie an, direkt und, ja, zornig. Und noch über den Flur erkennt Beatrice das Feuer wieder, das mit einem Mal in seinen Augen leuchtet. Rotes, höllisches Feuer.
    ***
    Hölle, Gegenwart
    Rachban schmunzelte zufrieden und strich mit den Fingern nahezu liebevoll über die Seiten des Buches, in dem er gerade geblättert hatte. Der Irrwisch erinnerte sich noch gut an diese letzte Szene. Das muss Weihnachten 1999 gewesen sein , dachte er. Ein gutes Jahr. Wir mussten gar nicht mehr so viel nachhelfen, um es geschehen zu lassen. Vieles von dem, was wir in den Jahren zuvor gesät hatten, kam damals schon von selbst zum Vorschein. »Gefunden, was du suchst?« Rachban wandte sich um, überrascht von der Stimme, und sah sich Korellys gegenüber, einem Dämon niederster Stufe und Bediensteten des Archives, in dem Rachban saß. Korellys war nicht sonderlich beliebt, das wusste der Irrwisch; Gerüchten zufolge hatte Lucifuge Rofocale zu Lebzeiten höchstpersönlich angeordnet, dass Korellys für alle Ewigkeiten in den Archiven Dienst tun sollte. Dort, so hieß es, würde er laut Rofocale das wenigste Unheil anrichten. Rachban hatte sich oft gefragt, ob an dieser Geschichte etwas dran war, und was ein Dämon niederster Stufe wohl anstellen musste, um den kürzlich verstorbenen Ministerpräsidenten der Hölle so dermaßen zu verärgern, dass er sich persönlich um die Bestrafung kümmerte.
    Dennoch entschied er sich, nicht nachzufragen. Stattdessen nickte er einfach. »Ja, habe ich. Ein wenig Recherche, du verstehst?« Und jetzt geh weg, du störst. Der Gedanke kam ohne Rachbans Zutun in seinen Geist, doch als er erst einmal da war, konnte der Irrwisch nicht umhin, ihm beizupflichten. Irgendetwas war an Korellys, das instinktiv unsympathisch wirkte.
    Der schmächtige Dämon sah ihn aus tief schwarzen, ausdruckslosen Augen an. Seine kleinen Flügel zuckten leicht, aber ob dies Nervosität oder einer anderen Regung geschuldet war, konnte Rachban nicht einschätzen. Was das anging, war Korellys so konturlos wie niemand sonst, dem der Irrwisch je begegnet war. »Habe gehört, du warst bei Stygia«, sagte der Dämon beiläufig. »Trefft euch wohl öfters, ja?«
    Rachban stutzte verblüfft. War er jetzt schon Thema der Gerüchteküche? Machte sein heutiger Besuch bei Lucifuges Amtsnachfolgerin etwa schon die Runde?
    Im gleichen Augenblick, in dem ihm diese Frage durch den Kopf ging, verstand er, warum Korellys sie gestellt hatte. Und er ahnte die verbalen Schleimereien, die der Dämon als nächstes absondern würde, um sich bei ihm beliebt zu machen. Abermals musste Rachban schmunzeln. »Du willst wissen, wie gut wir uns verstehen«, sagte er ihm auf den Kopf zu. »Du willst herausfinden, ob ich ein gutes Wort bei ihr einlegen könnte, zu deinem Vorteil.«
    Korellys zuckte mit den hängenden Schultern. »Ist nichts Schlechtes dabei, wenn man seine Optionen austestet.«
    »Optionen ist gut«, sagte Rachban und lachte leise. »Jetzt, wo Rofocale tot ist, suchst du nach Wegen, das Urteil, das er einst über dich gesprochen hat, aufzuheben. Richtig?«
    »Wo kein Kläger, da kein Henker, oder?«, fragte der Dämon ruppig zurück. »Kann's ja mal probieren.«
    Rachban klappte sein Buch zu und erhob sich von dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte. Auch wenn er es nicht rational erklären konnte, fühlte er sich plötzlich körperlich unwohl. Und er hatte die starke Vermutung, dass Korellys Anwesenheit der Grund dafür war. »Dann probier's weiter«, sagte er und wandte sich zum Gehen. »Aber nicht bei mir. Der Weg zu Stygia führt nicht über mich.«
    ***
    Lyon
    »Monsieur, so hören Sie doch!« Maries Stimme überschlug sich fast, während die junge Studentin ihrem Arbeitgeber durch das Lokal hinterher ging. »Ich schwöre Ihnen, ich habe den Brief gleich eingeworfen.«
    Die Gaststätte war zu dieser frühen Zeit - es ging gerade

Weitere Kostenlose Bücher