0911 - Nachtgestalten
die Curdins dahinter?
***
Aus den Archiven der Hölle
Beatrice Leroux will schreien.
Nur wie macht man das, so ganz ohne Mund?
Oh, Beatrice hat einen Mund, das weiß sie ganz genau. Immer schon hat sie einen besessen, und eben noch hat sie ihn auf die Lippen von Brad Pitt gepresst, hat seinen Schweiß gerochen, seine Haut gespürt… doch dieser Traum ist Vergangenheit. Und die Gegenwart ist die reinste Hölle .
Die Höhle, in der sich die Frau ohne Mund befindet, ist dunkel und feucht. Pechfackeln hängen in eisernen Ringen an den kargen Steinwänden und verleihen ihr eine diffuse, nahezu körperlich unangenehme Pseudo-Helligkeit. Beatrice liegt rücklings auf einem hölzernen Tisch, an Händen und Füßen fixiert, und ihr Oberkörper hebt und senkt sich im Rhythmus ihrer kurzen, schnellen Atemzüge. Sie ist in Panik und einer Ohnmacht nahe. Rasend schnell pulsiert das Blut durch ihren Körper, als wolle es die Lage, in der sie steckt, durch reine Geschwindigkeit ausgleichen.
Und irgendwo hinter ihr erklingt ein metallisches Geräusch, wieder und wieder. Sie kennt seinen Ursprung genau. Und sie weiß, dass es ihr Ende bedeutet. Das. hat der Gesichtsausdruck des dämonenhaften Wesens, das sie hier gefangen hält, mehr als deutlich gemacht. Beatrice schaudert bei dem Gedanken an es, an die ledrige und mit borstigem Fell übersäte Haut, an die breiten Flügel, die spitzen Hörner auf der gewölbten Stirn…
»Alles eine Frage der Schärfe«, hat der Dämon gesagt, der sich eben noch über sie beugte. Dann hat er die Axt gehoben und vor ihren Kopf gehalten, damit sie sah, wie stumpf und rostig das schwere und ungewöhnlich große Werkzeug war. Und das war dann der Moment gewesen, in dem Beatrice merkte, wie ihr Mund verschwand. Wie eine Wunde, die im Zeitraffertempo verheilte, hatten sich auf ihrem Kinn und ihrer Oberlippe Hautlappen gebildet und über die Mundöffnung ausgebreitet. Stück für Stück war sie zugewachsen, während Beatrice nur wimmernd dagelegen hatte und die Tränen über ihre Wangen liefen.
Ein Schrei ertönt irgendwo in der Ferne und reißt sie aus ihren Gedanken. Sie versteht nicht, was hier geschieht. Längst hat sich der rationale Teil ihres Verstandes verabschiedet und dem Instinkt und der Panik die alleinige Herrschaft über ihr Verhalten überlassen. Beatrice zittert und schluchzt. Soweit dies ihr noch möglich ist, doch zu mehr ist sie nicht in der Lage. Kalter Schweiß läuft über ihre Stirn und tropft in ihre Augen, ihren Hals entlang auf die an eine mittelalterliche Streckbank erinnernde hölzerne Oberfläche, die unsanft gegen ihren überdehnten Rücken drückt.
Abermals ein Schrei; wie ein Ruf klingt er, doch kann Beatrice ihn nicht verstehen. Irrt sie sich, oder hat sie da ihren Namen gehört? Sucht man sie? Ist das die Rettung?
Das metallische Kreischen verklingt, und dann hört sie das Schlurfen wieder, das die klobigen Füße des Ungetüms auf dem Höhlenboden verursachen. »Scharf«, sagt das Wesen, als es wieder in ihr Blickfeld kommt, und grinst Beatrice nahezu kindisch an, als erwarte es für die Leistung Lob von ihr, ihre Henkerswaffe geschärft zu haben.
Sie sieht, wie sich das Licht der Fackeln auf der blitzenden Axtklinge spiegelt, und abermals treten Tränen in ihre Augen, abermals durchläuft ein Zittern ihren Körper, das sich jeglicher Kontrolle entzieht.
»Wo soll ich nur anfangen?«, murmelt der Dämon leise und lässt seine Augen, in denen rotes Höllenfeuer lodert, langsam über ihren Körper gleiten. Wie ein Schlachter. »An den Füßen? Oder mit einem Arm? Arme schmecken besonders gut, von daher wäre das echt eine Option…«
Beatrice schließt die Augen, als er die Waffe hebt…
... und fährt erschrocken auf, als eine Hand sie an der Schulter berührt und schüttelt. Laut hallt ihr Schrei durch das Zimmer, und obwohl sie sich sofort umdreht und sieht, dass sie nicht länger in ihrem Albtraum, sondern im Schwesternzimmer ist, kann sie nicht aufhören zu schreien.
»Schwester Leroux, reißen Sie sich zusammen.« Der Chefarzt sieht sie entsetzt an. »Sie reißen uns ja noch die ganzen Kinder aus dem Schlaf.«
Kinder , denkt Beatrice zögernd und beruhigt sich. »Ich… ich hatte einen Traum«, murmelt sie und sieht in den Augen des Arztes, wie viel er davon hält, dass seine Nachtschwester während der Arbeitszeit ein Nickerchen eingelegt hat.
»Darüber reden wir später noch«, sagt er zornig, »aber im Moment sollten Sie sich besser um die
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