0911 - Nachtgestalten
Brett? »Nein«, sagte er schließlich und schüttelte langsam den Kopf. »Ich… ich mache das auf meine Art, okay? Es war ein Fehler, nach Ihnen zu suchen. Ich… danke, aber ich komme schon klar.« Dann machte er auf dem Absatz kehrt und schritt durch die offene Tür hinaus in die Passage und die Lyoner Nacht.
***
War ich zu schnell? Asmodis lächelte, als er Luc aus der Einkaufspassage eilen sah. Habe ich ihm zu viel auf einmal geboten? Oder zu wenig? Wie geht man mit JABOTH um - vorausgesetzt, die Sterne lügen nicht, und er ist es tatsächlich?
Diese Nacht war ein Rückschlag, zugegeben, aber nur ein minimaler. Der Dämon hatte nie wirklich damit gerechnet, dass der Kleine sofort anbeißen würde. Vierzehn Jahre lang hatte Luc als Mensch gelebt, und diese Existenz war alles, was er kannte. Um ihn an sein wahres Ich heranzuführen, musste Asmodis behutsam vorgehen, Schritt für Schritt.
»Und den nächsten gehe ich jetzt«, flüsterte er. Dann drehte er sich um, streckte die Hand aus und im hinteren Bereich der Boutique schob sich wie von Geisterhand bewegt der Vorhang einer Umkleidekabine zur Seite.
Der gefesselte Nachtwächter, der in ihr auf dem Boden lag, schrie verzweifelt auf, als sich Asmodis ihm in seiner wahren Gestalt zeigte. Doch zuerst verschluckte sein dicker Knebel jeden Laut, und danach… Nun, wer konnte schon schreien, wenn er keinen Kopf mehr besaß?
***
Pierre Robin musste nicht lange nachdenken, um zu dem Entschluss zu kommen, dass er diesen Morgen nicht mochte. Dafür sorgte schon der Anblick, der sich ihm im Inneren der Modeboutique bot, in die man ihn und sein Team in aller Herrgottsfrühe bestellt hatte. Der Laden sah aus, als hätte in ihm ein Wirbelsturm gewütet. Regale waren umgekippt, Kleidungsstücke wild durch die Gegend geworfen worden, und an den Wänden hatte sich jemand den Spaß gemacht, einen neuen Anstrich zu beginnen. Nur, dass er dafür statt Farbe Fäkalien benutzt hatte. Und wenn Robin zu den Umkleidekabinen im hinteren Bereich des Geschäftes blickte, wusste er auch, wessen.
»Ich habe ja schon einiges gesehen…«, murmelte er fassungslos und versuchte, nicht zu sehr über das Bild aus Blut, abgetrennten Gliedmaßen und freiliegenden Gedärmen nachzudenken, auf das er blickte. Eines Tages… , dachte er und bemühte sich, seinen Mageninhalt drin zu behalten. Eines Tages komme ich auch mit so was klar. Hoffentlich. Andererseits: Wie emotional verkrüppelt muss man sein, um so eine Abscheulichkeit sehen und nicht an sich heranlassen zu können - will ich das überhaupt sein?
Brunots Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Das sollten Sie sich mal ansehen, Chef!«
***
Marie Dupont musste nicht lange nachdenken, um zu dem Entschluss zu kommen, dass sie diesen Morgen nicht mochte. Dafür sorgte schon der Anblick, der sich ihr vor ihrer Wohnungstür bot. Irgendjemand hatte ihren Briefkasten bis zum Bersten gefüllt, und angesichts der andauernden Leere auf ihrem Konto waren weitere Rechnungen - denn um was sonst sollte es sich schon handeln? - so ziemlich das Letzte, was sie noch brauchte.
Doch als sie den Briefkasten öffnete, fielen ihr keine Rechnungen entgegen, sondern ein einzelnes, in braunes Packpapier gewickeltes Päckchen. Das sollte ich mir mal ansehen , dachte Marie und bückte sich, um es aufzuheben.
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Das Kleid war schlicht, und dennoch elegant. Leichte Mode für wärmere Jahreszeiten. Robin hielt es hoch und betrachtete es im Licht. »Und Sie sind sich sicher, dass nichts weiter fehlt? Nur dieses Kleid?«
»Absolut, Chefinspektor«, antwortete Brunot geflissentlich. »Laut den Angaben des Ladenbesitzers, der uns dieses zweite Exemplar übrigens gerne als Muster für die Ermittlungen überlässt, wurde sonst nichts gestohlen.«
»Aber wer tötet denn einen Nachtwächter und verwüstet einen ganzen Laden, nur wegen eines einzigen Kleides?«
***
Das Kleid war schlicht und dennoch elegant. Leichte Mode für wärmere Jahreszeiten. Marie hielt es hoch und betrachtete es im Licht. Das gibt's doch nicht…
Es war ihr Kleid, das gleiche Modell, daran bestand kein Zweifel. Irgendjemand hatte ihr ein neues Kleid geschickt. Zum wiederholten Mal griff Marie nach dem Packpapier, doch so sehr sie es auch drehte und wendete, konnte sie keine Hinweise auf den Absender ausmachen. Absolut anonym , dachte sie und wunderte sich nur noch mehr. Hatte sie einen Wohltäter? Einen geheimen Bewunderer? Aber woher wusste er dann, was ihr geschehen war?
Steckten gar
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