0914 - Der Fluch der Sinclairs
de St.Clair hatte mich verstanden. Er ließ sich mit der Antwort Zeit, runzelte die Stirn und sagte schließlich: »Dann siehst du mich als einen Feind an?«
»Noch weiß ich zuwenig über dich. Erst wenn ich alles erfahren habe, werde ich mich entscheiden können. Mein Vater hat von einem Fluch der Sinclairs gesprochen, und ich kann mir vorstellen, daß er hier seinen Anfang genommen hat. Vielleicht hast du erst den Grundstein dazu gelegt, aber das werde ich wissen, wenn du mir endlich die Wahrheit über dich erzählt hast.«
Er drehte den Kopf und schaute auf den von Staub und kleinen Steinen bedeckten Altar, als könnte er dort die Antwort ablesen. Ich ließ ihm Zeit, damit er sich sammeln konnte, und als ich sein Nicken sah, wußte ich, daß er bald reden würde. »Ich weiß, daß es für einen Menschen, der nicht so denkt wie ich, schwer ist, alles zu begreifen. Aber ich habe dich gewollt, denn ich wußte, daß du etwas Besonderes bist. Nein, ich spürte es, auch wenn ich dein Geheimnis nicht kenne. Aber ich werde es herausfinden, da bin ich mir sicher.«
»Was hat das mit dir zu tun?«
»Ich will es dir sagen.« Sein Gesicht blieb starr. Überhaupt zeigte die Haut kaum Falten. Auch wenn er sprach, so hatte ich des öfteren den Eindruck, daß unter der Haut kein Fleisch, Muskelgewebe und Knochen steckten, sondern irgendeine Masse, mit deren Existenz ich nicht zurechtkam. »Meine Forschungen waren tief und intensiv. Sie waren von einem Willen und einem Leben erfüllt wie selten. Ich sah mich selbst als einen Besessenen an. Ich vergrub mich in die Geheimnisse der alten arabischen und jüdischen Schriften. Ich las von künstlichem Leben, ich las auch über die Überwindung des Todes, und die Faszination wurde immer größer für mich. Gerade in dieses Gebiet tauchte ich ein, und ich lernte, daß alles seinen Preis hat, manchmal sogar einen besonderen.«
»Da gebe ich dir recht, Gilles. Was war dein Preis?«
Leuchteten seine Augen auf? Irrte ich mich? Hatte ich es mir nur eingebildet? Ich kam nicht zurecht, aber ich wußte, daß ich ihn an einem wunden Punkt erwischt hatte. »Ich wollte leben. Ich wollte die Welt verstehen lernen, aber nicht nur die in meiner Zeit, sondern auch die Welt, die fern von der meinen liegt. Und ich fand heraus, daß ich, wollte ich mein Ziel erreichen, einen bestimmten Preis zahlen mußte. Mir war jeder Preis recht, John Sinclair.«
»Welches war deiner?«
»Ich bekam den Kontakt zu finsteren Mächten. Zu denen, die vor Urzeiten vernichtet waren, aber nicht vernichtet sind und all ihre Geheimnisse bewahrt hatten. Damals wollten sie gottgleich werden. Damals hatten sie die gleiche Macht wie Gott, so habe ich es gesehen. Sie verloren zwar, aber ihr Wissen und auch ihre Macht gingen nicht verloren. Sie offenbarte sich den Menschen, diese einmalige Kraft. Sie lockte sie, sie gab hin und wieder einen Teil ihrer Geheimnisse preis, aber nur an bestimmte Menschen, die bereit waren, ihr zu folgen. Die noch daran glaubten, daß nicht alles von ihnen vernichtet war. Es stimmte. Ich habe es herausgefunden. Vieles war zurückgeblieben, und die Kraft war ebenso mächtig wie die, auf die die Kirche und Rom bauten.«
»Du meinst die Hölle, den Teufel, die Verdammnis?«
»Ja, die meine ich.«
»Und was hast du getan, um leben zu können?« Ich ahnte die Antwort, aber er sollte sie mir selbst sagen. Sein Gesicht zeigte plötzlich Triumph, die Augen loderten, als wäre in beiden Pupillen ein kaltes Feuer entfacht worden.
»Ich!« rief er mit lauter Stimme. »Ich habe meine Seele den Mächten der Verdammnis verkauft…«
Dann gellte sein Lachen auf und hallte schaurig von den Resten der Wände als Echo wieder…
***
Ja, genau das hatte ich mir gedacht. Das gesamte Gespräch war darauf hinausgelaufen. Ich selbst aber hatte es aus seinem Mund erfahren wollen, und er hatte es zugegeben.
Beide schauten wir uns an.
Keiner stellte eine Frage, aber jeder wußte wohl, was der andere dachte.
Die Seele verkauft! Etwas Uraltes, aber immer wieder Neues, in verschiedenen Variationen auftretend, von Goethe durch das Drama Faust unsterblich gemacht, und hier stand jemand neben mir, der es schon weit vor der Zeit des großen Genies geschafft hatte.
Er hatte seine Seele verloren, sie gehörte der Verdammnis, dem Teufel, wie auch immer. Aber - und jetzt dachte ich weiter, diese Seele war nicht richtig verloren, es gab sie wahrscheinlich noch, nur eben in einer anderen Form und nicht mehr in seinem Körper
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