0915 - Die Rückkehr des Schrecklichen
aggressive Musik doch dabei, sich zu konzentrieren. Nachdem sie die Hefte und Bücher zugeschlagen hatte, übte sie sich noch ein wenig in Headbanging. Dabei konnte sie am besten überlegen, wie sie den Rest des Nachmittags verbringen würde. Das Treffen mit ihrer Freundin Jane hatte ihr ihre Mum verboten, bloß weil sie diesem arroganten Typen dort unten die Meinung gesagt hatte. Der sollte sich bloß nicht einbilden, ihre Mum flachlegen zu können.
Jedenfalls nur gegen härtesten Widerstand… Sie kicherte. Wahrscheinlich habe ich ihn jetzt aber schon so eingeschüchtert, dass ihm ohnehin jede Lust dazu vergangen ist…
Also war Zeit, an ihrer Mission weiter zu arbeiten, denn auch die Beziehung mit Nathan, die sie so viel Zeit gekostet hatte, war seit gestern vorbei. Egal. Er war ohnehin ein blöder Hund. Noch immer war ihr nicht klar, warum das Porträt von diesem Sir Donald ausgetauscht worden war. Vielleicht war es hilfreich zu wissen, wer dieser Sir Donald überhaupt gewesen war.
Das müsste ich herauskriegen können. Ein Hexenwerk ist das sicher nicht bei der Sorgfalt, mit der die Sutherlands immer ihre ach so wichtige Familiengeschichte behandeln. Von dem Typ steht sicher auch was in den Chroniken…
Cynthia schminkte sich nach und ging dann zum Haupthaus hinüber. Wie auch ihre Mutter durfte sie sich dort uneingeschränkt bewegen, die privaten Gemächer der Sutherlands ausgenommen natürlich. Sie ging zuerst bei Lara, der älteren Köchin, vorbei, mit der sie so eine Art freundschaftliches Verhältnis verband, auch wenn Lara wegen ihres Outfits regelmäßig die Hände über dem Kopf zusammen schlug und ihr riet, »besser etwas Gescheites«, anzuziehen und nicht immer »wie ein Vampir rumzulaufen«.
Dann wanderte Cynthia durch die Ahnengalerie der Sutherlands, einen langen Korridor, von dessen Wänden 43 Vorfahren in Öl und goldgerahmt mit heiligem Ernst auf sie hernieder blickten. Das waren laut Jakes Aussagen längst nicht alle. Einige Bilder mochten im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen sein, einige Vorfahren hatten sich wohl gar nicht erst porträtieren lassen. Sir Donald, einer der Mittleren in der langen Ahnenreihe, hing dementsprechend etwa in der Mitte links in dem eher spärlich beleuchteten Korridor. So benötigte man schon die Adleraugen einer Cynthia Hartley, um zu bemerken, dass das Bild ausgetauscht worden war.
Und das war es auch jetzt noch.
Durch den Gang erreichte sie die Bibliothek, drei große Zimmer, deren Wände fast ausschließlich aus prallvollen Bücherregalen bestanden. Uralte, ledergebundene Folianten fristeten hier ihr schon Jahrhunderte währendes Dasein zwischen modernen Büchern. Sir Iain bezeichnete sie gerne als »bibliophile Schätze«, während Cynthia in ihnen eher Staubfänger sah, in denen Zeug stand, das keinen klar denkenden Menschen auch nur im Ansatz interessierte.
Vor gut zehn Jahren hatte Sir Iain mal »irgend so eine Geschichtstussi«, beschäftigt, die die uralten Familienchroniken abfotografiert und in modernes Englisch übersetzt hatte. Zudem hatte sie ein Personenregister erstellt, sodass man die betreffenden Leute leicht finden konnte, ohne ein Jahr lang nachschlagen zu müssen. Drei Jahre war die »Geschichtstussi«, beschäftigt gewesen und das hatte Sir Iain sicher eine ganze Stange Geld gekostet. Aber ihm war das Ganze wichtig gewesen, weil angeblich die Chroniken langsam zu Staub zerfielen oder zumindest immer unleserlicher wurden. Demnächst wollte er die alten Schinken auch noch aufwendig renovieren lassen oder wie das hieß. Restaurieren? Na, egal. War ja sein Geld.
Diese Gedanken gingen Cynthia durch den Kopf, während sie den Registerordner heraus zog, sich an das Lesetischchen setzte und im Ordner blätterte. Es war ein Kinderspiel, Sir Donald zu finden. »Da ist er ja, der alte Sack«, murmelte Cynthia. »Dritter Ordner, ab Seite 364. Ich bin echt voll gespannt, was du für ein Freak warst. Hm…«
Sie blätterte den entsprechenden Ordner durch, »dreihundertfünfundfünfzig, dreihundertsechzig, dreihun…« Cynthia stutzte, blätterte zwei vor, drei zurück, aber das änderte nichts am Ergebnis. Die Seiten 363 bis 370 fehlten!
Scheiße. Cynthia schaute einen Moment über die Regale. Sie spürte Schauer großer Erregung auf ihrem Rücken. Ich hab's doch gleich gewusst, dass das Bild von dem alten Sack auch was damit zu tun hat. Das ist kein Zufall, dass der Typ die Seiten raus genommen hat. Schau ich mal eben in der
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