0915 - Die Rückkehr des Schrecklichen
einem Deckengemälde, das schottische Krieger zeigte, die auf rot gekleidete Soldaten prallten. Im Zentrum stand ein Hüne mit Vollbart, der ein Schwert schwang und die Schotten anfeuerte. Sein Fuß stand auf einem getöteten Soldaten.
Der Professor betrachtete das Gemälde sinnierend. »Die Schlacht bei Culloden, habe ich recht?«, fragte er schließlich.
»Ja, stimmt. Du kennst dich in englisch-schottischer Geschichte aus?«
»Ein bisschen. Dann ist das da in der Mitte sicher Bonnie Prince Charlie.«
Amabel lächelte. »Das ist er, ja. Der aufständische Stuart-Prinz hat sich 1746 im Culloden-Moor mit 5000 demoralisierten Highlandern gegen etwa 9000 Engländer verteidigt. Die veranstalteten zum Schluss ein Massaker unter den unterlegenen Schotten. Man erzählt sich, dass ein Sutherland, der damals zu Prince Charlies Truppen gehörte, die Schlacht durch falschen Stolz zu Gunsten der Engländer entschieden habe.«
»Ach was.«
»Ja. Sir Donald hieß der böse Bube. Die Sutherlands, die traditionell das recht für sich beanspruchten, den linken Flügel zu stellen, waren von Prinz Charlie auf den rechten gestellt worden. Aus Ärger über diese Kränkung zog sich Sir Donald mit den Sutherlands einfach zurück und überließ der englischen Kavallerie kampflos die rechte Flanke. Man sagt, dass die Sutherlands wegen dieser Tat für viele Jahrzehnte ausgestoßen und geächtet wurden und dass Sir Donald deswegen sogar offiziell verflucht wurde.«
Zamorra horchte auf. »Verflucht? Ist das nicht der Kerl, dessen Porträt ausgetauscht wurde?«
Amabel starrte ihn an. »Ja, stimmt. Meinst du, dass, dass…«
»Ich meine gar nichts. Ich habe nur mal nachgefragt.« Zamorra musterte weiterhin die Details. Ihm gefiel das Gemälde. Schließlich senkte er den Kopf wieder. »Sir Iain ist über diesen schweren Fauxpas seines Vorfahren sicher nicht amused. Das ist eindeutig ein schwarzer Fleck in der Familiengeschichte.«
»Ja. Aber da gibt es weitere. Auf jeden Fall glaubt Sir Iain, dass diese Geschichte den Sutherlands noch heute anhängt wie eine Pestbeule und so gibt er sich bewusst anti-englisch, um ja keinen Zweifel an der schottischen Integrität der Sutherlands aufkommen zu lassen. Ich denke…«
Was sie weiter sagte, verwehte irgendwo im Nichtverstehen. Zamorras Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Links von ihm war eine Bewegung. Ein Mann trat aus der kleinen Tür zwischen zwei Rüstungen. Er trug die graue Uniform der Waffen-SS mit den schwarzen Kragenspiegeln, einen Stahlhelm und eine Maschinenpistole schussbereit in den Händen. Der Lauf zeigte schräg nach unten. Der Totenschädel unter dem Helm mit dem eingeschlagenen linken Jochbein schien Zamorra höhnisch anzugrinsen.
Der Professor keuchte. Er fuhr herum.
»Hallo Jake«, sagte Amabel. »Was tust du denn hier?«
Zamorra starrte auf einen groß gewachsenen, schlanken, jungen Mann, der da stand, wo er gerade noch den Skelettsoldaten gesehen hatte. Jake, so hieß er wohl, zögerte. Er war schon wieder halb auf dem Weg zurück durch die Tür und drehte den Kopf weg.
Zamorra tastete unwillkürlich nach Merlins Stern . Er blieb kalt, zeigte nicht die geringste dämonische Aktivität an. Verdammt, was wird hier gespielt? Drehe ich jetzt so langsam aber sicher ab?
Jake entschloss sich zu bleiben. Er drehte sich. Zamorra sah in ein von feuerroten Narben fürchterlich entstelltes Gesicht.
»Hallo Amabel«, sagte der Mann mit rauer Stimme, ohne sich direkt um Zamorra zu kümmern. »Wer ist das?«
»Zamorra de Montagne, ein alter Bekannter von mir.« Sie lächelte. »Ich freue mich, dass du dich mal wieder aus deinem Turm heraus traust.«
»Da gibt es nichts zu freuen.« Jake schluckte ein paar Mal hektisch. »Ich muss wieder weg.« Und schon war er durch die Tapetentür verschwunden.
»Wer war denn das? Ein freundlicher, junger Mann, das muss ich schon sagen.«
»Er ist ein Mistkerl, Zamorra und er verdient keinerlei Mitleid.« Amabels Stimme war plötzlich hart. »Du hast gerade die Bekanntschaft Jake Sutherlands gemacht, was ein überaus seltenes Missvergnügen ist. Jake ist Sir Iains einziger Sohn und er war schon immer überheblich und arrogant.«
Amabel senkte ihre Stimme fast bis zu einem Flüstern. »Schon als mein Mann noch gelebt hat, wollte er unbedingt eine Affäre mit mir beginnen. Er hat mich… bedrängt und einmal sogar fast vergewaltigt. Gott sei Dank kam Sir Iain dazwischen, aber er hat bis heute wohl nicht begriffen, was damals wirklich los war.
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